Jährlich werden etwa 60.000 Menschen in Deutschland Gliedmaßen amputiert. Ursachen hierfür sind beispielsweise Unfälle, Krebserkrankungen oder Diabetes mellitus. Besonders häufig kommt es zu Entfernungen im Bereich der unteren Extremitäten, also des Fußes oder des Unter- beziehungsweise Oberschenkels. Auch wenn eine Amputation medizinisch zwingend notwendig ist, stellt sie für Betroffene einen massiven Körpereingriff dar. Er bedeutet den endgültigen Verlust einer Extremität und belastet die Patienten körperlich sowie psychisch in hohem Maße.
Eine kompetente therapeutische Begleitung, zum Beispiel in einer spezialisierten Rehaklinik wie der Fachklinik Enzensberg unterstützt Betroffene bei der schwierigen Aufgabe, ihre Genesung, Rehabilitation und Rückkehr in den Alltag zu meistern. In diesem Prozess spielt die Wiedergewinnung der Mobilität eine wichtige Rolle. Nach der Rehabilitation kann der Austausch in einer Selbsthilfegruppe wichtige Impulse für die Rückkehr in den Alltag liefern. Auf der Internetseite des Bundesverbands für Menschen mit Arm- oder Beinamputation e.V. finden Interessenten entsprechende Adressen in ihrer Nähe.
Zum Experten in eigener Sache machen
Welche körperlichen Möglichkeiten ein Amputierter hat, hängt von zahlreichen Faktoren ab und lässt sich nicht allgemein beantworten. Eine wichtige Rolle spielen die Amputationshöhe, aber auch die Prothese. Inzwischen gibt es eine große Bandbreite künstlicher Gliedmaßen, die bis zu elektronisch gesteuerten und mitdenkenden Hightech-Lösungen reichen, die erstaunliche Möglichkeiten eröffnen. Beispielsweise ist es Forschern gelungen, es gelähmten Menschen zu ermöglichen, Roboterarme allein mit der Kraft ihrer Gedanken zu steuern und so etwa ein Glas anzuheben. Welche Prothese im Einzelfall am besten geeignet ist, muss also mit den Ärzten und Therapeuten besprochen werden. Auch hier empfiehlt es sich aber, ebenfalls den Rat anderer Prothesenträger einzuholen.
So oder so müssen sich die Betroffenen zunächst an ihre Prothese gewöhnen und den Umgang damit erlernen. Natürlich kann ein künstliches Körperteil das natürliche (bisher) nicht vollständig ersetzen. Aber viele moderne Prothesen ermöglichen es ihren Nutzern, erstaunlich gut, wieder in den gewohnten Alltag zurückzukommen. Dazu trägt wesentlich die mentale Einstellung des Betroffenen zu seinem künstlichen Körperteil bei und die Bereitschaft, die neuen Bewegungsabläufe so schnell wie möglich zu erlernen.
Fahrradfahren – für Beinamputierte möglich
Nach einer Amputation spielen auch Sport und Fitness eine wichtige Rolle. Körperliche Aktivitäten fördern den Umgang mit der Prothese und wirken sich sehr positiv auf die gesamte Gesundheit aus. Je nach Amputation und Prothese sind nicht mehr alle Sportarten geeignet, aber für Beinamputierte sind Nordic Walking oder Schwimmen eine gute Wahl. Aber auch Fahrradfahren ist mit und trotz Fuß- oder Beinamputation sehr gut möglich, auch wenn sich das im ersten Moment nicht so anhören mag. Im Bereich Para-Radsport des Deutschen Behindertensportverbands e.V. sind auch eine Reihe von arm- und beinamputierten Menschen sehr erfolgreich bei den Paralympics und anderen Wettbewerben am Start.
Erfolgsgeschichten
Die beinamputierte Amerikanerin Sarah Reinertsen absolvierte den Ironman auf Hawaii. Ihr gelang eine unglaubliche Leistung: An einem Tag schwamm sie 3,8 Kilometer, legte 180 Kilometer mit dem Fahrrad zurück und rannte 42 Kilometer – mit einem vollständig künstlichen Bein.
Um nach einer Beinamputation Fahrrad zu fahren, muss man aber kein Leistungssportler sein. Moderne Prothesen- und Fahrradtechnik ermöglichen es Betroffenen, selbstständig und sicher Fahrrad zu fahren. Das ist nicht nur gesund, sondern auch integrativ, weil auf diese Weise gemeinsame Touren mit der Familie oder Freunden problemlos möglich sind. Es lohnt sich also, sich dieser Sportart auch als Prothesenträger (wieder) anzunähern. Dabei ist es wichtig, sich gründlich zu informieren und verschiedene Komponenten auszuprobieren und gegebenenfalls so miteinander zu kombinieren, dass ein optimales Ergebnis erzielt wird. Die entscheidenden Faktoren sind die Prothese, das Fahrrad, das Aufsteigen und das Halten des Gleichgewichts.
Spezialfahrräder bieten viele Möglichkeiten
Welche Prothese am besten geeignet ist, muss in jedem Einzelfall individuell entschieden werden. Wenn Sie aber bereits im Vorfeld wissen, dass Sie Ambitionen haben, wieder Fahrrad zu fahren (oder eine andere Sportart zu betreiben), sollten Sie das frühzeitig in die Entscheidung einbringen. Einige moderne Prothesen verfügen zum Beispiel über einen Fahrradmodus, den Sie bei Bedarf einschalten können. Wichtig ist auch, dass die zusätzliche Bewegung bei der Anpassung der Prothese berücksichtigt wird, damit Sie auch auf längeren Touren keine Druck- und/oder Scheuerstellen am Stumpf erleiden. Auch hier gilt: Machen Sie sich zum Experten in eigener Sache, indem Sie sich mit Therapeuten und anderen Amputierten austauschen.
Einen weiteren entscheidenden Faktor für freudvolles Radeln liefert das Fahrrad selbst. Oftmals reicht dafür ein gewöhnliches Fahrrad aus, aber es stehen auch eine ganze Reihe spezieller Bikes zur Verfügung, die auf Ihre Bedürfnisse ausgerichtet sind und dafür sorgen, dass Sie nicht aufs Fahrradfahren verzichten müssen und sich dabei sicher und wohlfühlen. Wenn Sie beispielsweise Gleichgewichtsprobleme haben, bieten sich Reha- oder Dreiräder an. Damit stehen Sie auch dann stabil, wenn Sie nicht fahren. Außerdem sind Dreiräder fast immer mit einem tiefen Einstieg ausgestattet, was das Auf- und Absteigen zusätzlich erleichtert.
Details können entscheidend sein
Ein niedriger Einstieg ist natürlich auch bei einem Zweirad bequem und sorgt für zusätzliche Sicherheit. Das gilt auch für Bremsen, die ausschließlich mit den Händen bedient werden. Viele Prothesenträger haben Probleme damit, die Rücktrittbremse jederzeit sicher zu bedienen und fühlen sich deshalb wohler, wenn sie ausschließlich mit den Handgriffen bremsen können. Wichtig ist auch, dass Sie darauf achten, dass einerseits Ihr Prothesenfuß sicher auf dem Pedal fixiert ist, er sich andererseits beim Anhalten aber auch leicht wieder lösen lässt. Auch hierfür gibt es zahlreiche Lösungen, zum Beispiel mit einem Klettband. Für zusätzliche Sicherheit sorgt auch, wenn Sie den Sattel so einstellen, dass Sie im Stand mit beiden Füßen fest auf dem Boden stehen.
Viele Menschen mit Behinderung profitieren vom Boom der E-Bikes und Pedelecs. Das ist auch bei Amputierten in besonderer Weise der Fall, weil der Elektromotor beispielsweise die Kraft eines fehlenden Beins ersetzt und Belastungsspitzen an Steigungen und Bergen abfängt. Einige Spezialanbieter wie zum Beispiel die Firma VanRaam bieten Lösungen für Menschen mit Behinderung, die sich individuell auf die jeweiligen Bedürfnisse einstellen beziehungsweise programmieren lassen und auf diese Weise ein unbeschwertes Fahrerlebnis ermöglichen.
Nicht aufgeben, üben!
Sollten Sie keinen intuitiven Zugang zum Fahrradfahren finden oder sich trotz aller Maßnahmen unsicher fühlen, empfiehlt sich die Unterstützung erfahrener Therapeuten. Diese können Ihnen wertvolle Hinweise zum Auf- und Absteigen geben, die optimale Stellung der Pedale oder des Stand- und Amputationsbeins erklären und den gesamten Ablauf mit Ihnen üben. Auch Selbsthilfegruppen oder Vereine erleichtern Ihnen den Einstieg in den Radsport mit Prothese. So bietet beispielsweise „Bewegungsförderung für Amputierte – Anpfiff ins Leben“ ein Fahrradsicherheitstraining für Beinamputierte. Hier können Sie auch an gemeinsamen Radtouren teilnehmen, die der Verein (zumindest in Zeiten ohne Pandemie) regelmäßig organisiert.
Manchmal erfordert es etwas Überwindung, Mut und Übung, um nach einer Beinamputation wieder Fahrradfahren zu können. Schöne Radtouren an der frischen Luft mit anderen Menschen werden Sie aber für Ihre Mühe belohnen.