Ganzkörpertraining auch bei hoher Lähmung

Therapeutisches Training

Die meisten Sportarten und Trainingsmethoden für Rollstuhlfahrer werden mit den Körperteilen durchgeführt, die der Sportler noch bewegen kann. Das klingt zwar erstmal logisch, entspricht aber nicht den Empfehlungen vieler Ärzte und Therapeuten. Demnach sollten nämlich auch die gelähmten beziehungsweise passiven Körperteile regelmäßig bewegt, trainiert und belastet werden. Das ist sogar bis zu einer erstaunlichen Lähmungshöhe selbstständig möglich.
© Motion Solutions
Ganzkörpertraining im Stehen
Einzigartig: Der Glider ermöglicht es, den ganzen Körper zu trainieren, also auch die gelähmten Körperteile

Das Stehtraining ist für Menschen, die nicht mehr selbstständig eine aufrechte Position einnehmen können, eine der einfachsten Möglichkeiten, um Sport zu treiben. Insbesondere wenn ein vollkommen aufrechter Stand erreicht wird, ist das Stehen nämlich sehr viel dynamischer als der Name es vermuten lässt. Es genügt schon, drei bis vier Mal in der Woche eine halbe Stunde pro Tag zu stehen, um viele Körperfunktionen zu trainieren und zu verbessern. Vor allem werden auch Degenerationsprozesse aufgehalten, die durch ununterbrochenes Sitzen entstehen (s. Kasten).

Gute Stehtrainer bieten dem Nutzer gleichzeitig so viel Halt und Bewegungsfreiheit, dass er neben dem reinen Stehtraining noch andere Fitness-Übungen ausführen kann. Das können sehr einfache Übungen zum Beispiel mit (leichten) Hanteln oder einem Deuser-Band sein, aber auch Übungen ganz ohne Hilfsmittel sind möglich. Erfahrene Physiotherapeuten können ihren Patienten dazu individuelle Vorschläge machen. Von der Firma Motion Solutions (www.moso-gmbh.de), die in Deutschland die Stehtrainer von Easystand vertreibt, gibt es dazu ein Handbuch mit vielen Anregungen und Erklärungen.

Stehtraining ist nicht gleich Stehtraining

Dass Stehtraining für Menschen mit Bewegungseinschränkungen tatsächlich eine sportliche Betätigung ist, spüren vor allem Anfänger oftmals daran, dass sie nach den ersten Einheiten erschöpft sind. Der Prozess beansprucht den gesamten Körper und ist hochdynamisch. Gleichzeitig hat Stehtraining aber auch eine statische Komponente, weil man dabei meistens auf einem Fleck steht. Genau das hat wesentlich zum oftmals schlechten Ruf des Stehtrainings beigetragen. Umso besser sind Fitness-Übungen während des Stehens, um die Langeweile zu vertreiben.

Viele Hersteller von Stehgeräten gehen einen anderen Weg, indem sie die Hilfsmittel selbst mobil machen oder die Stehfunktion in einen Rollstuhl integrieren. Diese Kombination ist in Bezug auf Abwechslung und Mobilität zwar nachvollziehbar, therapeutisch hat sie hingegen oftmals Nachteile. Denn den Mobilitätsgewinn bezahlen die Nutzer meistens mit einer schlechteren Qualität beim Stehen, weil nur ein angelehnter, aber kein völlig aufrechter Stand erreicht wird. Das ist ein scheinbar kleiner Unterschied, der aus therapeutischer Sicht aber erhebliche Auswirkungen hat.

Ausdauertraining für den ganzen Körper

Eine optimale Möglichkeit, um den gesamten Körper zu bewegen, bieten Stehtrainer mit Bewegungsfunktion. Diese ähneln einem Crosstrainer wie man ihn aus Fitnessstudios kennt. Die Bewegung erfolgt rein mechanisch über zwei gegenläufige Armhebel, die über ein Gelenk mit Fußführungen verbunden sind, sodass die Beine automatisch mitbewegt werden. Das Training kann zusätzlich über die aktive Muskulatur in den Beinen unterstützt werden. Um einen optimalen Trainingserfolg zu erzielen, sollte sich der Bewegungswiderstand individuell einstellen lassen. Sogar hochgelähmte Menschen mit eingeschränkter Handfunktion können in diesen Stehtrainern ihren gesamten Körper selbstständig bewegen.

Davon profitieren insbesondere auch die Körperregionen, die gelähmt sind beziehungsweise nicht mehr aktiv bewegt werden können. Durch das Training unterstützt die Muskelpumpe den Kreislauf und die Blutzirkulation in den Beinen. Aber auch die teilinnervierten Muskeln im Lähmungsbereich werden gestärkt beziehungsweise aufgebaut oder auf dem maximalmöglichen Niveau erhalten. Das kommt letztlich dem gesamten Körper zugute und führt zu einem höheren Wohlbefinden, einer größeren Widerstandsfähigkeit und mehr Mobilität.

Eine Zielvereinbarung mit sich selbst treffen

Während viele andere Trainingsmethoden das Ziel haben, einen körperlichen Zustand zu bewahren oder wenigstens die Verschlechterung zu verzögern, bietet das Ganzkörpertraining in einem Stehtrainer mit Bewegungsfunktion vielen Nutzern sogar die Möglichkeit, ihren Zustand aktiv zu verbessern. Gemeinsam mit einem Therapeuten oder – bei ausreichender Erfahrung auch allein – kann der Nutzer sich Ziele setzen und diese erreichen. Dabei ist es wichtig, sich ein realistisches Ziel zu setzen und dieses möglichst konkret zu formulieren. Mögliche Ziele können zum Beispiel die Trainingsdauer oder -intensität sein, aber auch biometrische Daten wie Körpergewicht, Knochendichte, Puls oder Blutdruck.

(Text: Volker Neumann)

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