10 Jahre Rolliläum

Wie David Lebuser sein Leben nach dem Unfall in die Hand nahm

Der Skatepark ist sein Zuhause, unterwegs ist er in der ganzen Welt. David Lebuser ist in der Szene ein Star. Kein Wunder, schließlich ist er deutscher Meister und einmal auch Weltmeister im WCMX geworden, einer halsbrecherischen Sportart für Rollstuhlfahrer. Hier beschreibt er seinen Weg vom selbstverschuldeten Unfall, der ihn in den Rollstuhl brachte, in ein völlig neues Leben als Sportstar und Vorbild.
© Björn Lubetzki
David Lebuser fühlt sich im Skatepark wohl
Vom Unfallopfer zum Vorbild: David Lebuser

Vor 10 Jahren bin ich bei einer Geburtstagsparty angetrunken von einem Treppengeländer gepurzelt, den Treppenschacht hinuntergestürzt und habe mir dabei den Rücken gebrochen. Ziemlich schmerzhaft, ziemlich blöd und mit der Konsequenz einer Querschnittlähmung! Die Diagnose – ein Schock!

ngewissheit, Trauer und Sorge waren die ersten Gefühle die ich hatte. Ich konnte die ersten Tage nur im Bett liegen, mich nicht alleine drehen und schon gar nicht aufstehen. Und was macht man dann? Man schaltet den Fernseher ein! Und Glück im Unglück liefen dort die Paralympics. Perfekt abgepasst, zeigte mir dieser schnelle und attraktive Sport doch eine Perspektive und gab mir neue Hoffnung.

Die ersten Tage fühlten sich eher so an, als ob man sich etwas gebrochen hat und man bald wieder nach Hause kommt und alles beim Alten ist. Doch so war es nicht, und auch das wusste man ja irgendwie. Die ersten Wochen und Monate waren ein Mix aus Hoffnung, Fortschritten, neuen Perspektiven, aber auch Depressionen und Trauer. Als die Physiotherapeutin das erste mal den Rollstuhl ans Bett schob, war es eine Befreiung. Endlich kam ich aus diesem Bett raus und konnte mich selbst bewegen. Der Rollstuhl, so viel war klar, ist hier nicht das Problem!

Ein Video veränderte mein Leben

In der Reha war ich hochmotiviert, mein neues Fortbewegungsmittel kennenzulernen. Mein oberstes Ziel war aber, wieder selbstständig zu werden. Ich wollte keine Hilfe brauchen! Sah ich eine Lücke im Therapieplan, habe ich sie füllen lassen, hatte ich Freizeit, war ich im Kraftraum, in der Sporthalle oder im Treppenhaus mit meinem Rollstuhl – Treppen fahren üben.

Ein Freund zeigte mir ein Video von Aaron Fotheringham und ich wusste, dass alles, was ich über Rollstuhlfahrer zu wissen glaubte, für’n Arsch ist: Vorurteile aus der Gesellschaft und den Medien, die nicht im Ansatz stimmten. Keine Pferdedecken, kein Gesabber, naja manchmal ein bisschen Gesabber… und vor allem keine Hilfe von irgendwelchen Schiebomaten!

Am Boden und doch obenauf

Als ich gelernt hatte, vom Boden wieder in den Rollstuhl zu kommen, was harte Arbeit war, fuhr ich sofort in den Skatepark. Schließlich konnte mich jetzt nichts mehr aufhalten. Als ich die Rampen sah, gab ich Gas. Ich fuhr auf die Quarter zu, fuhr hoch und fiel um. Alle BMXer sprangen auf und dachten wohl, ich wollte mich umbringen oder so… Aber ich lag am Boden und war der glücklichste Mensch der Welt!

WCMX, Hardcore Sitting, Chairskating, egal wie man es nennt oder genannt hat. Es war mein Anker, meine neue Hoffnung, meine Freiheit. Das Gefühl dort am Boden zu liegen, der Rollstuhl neben mir und zu wissen, ich stehe wieder auf und probiere es nochmal, war berauschend. Ich versuchte es wieder und kam auch irgendwie wieder heil unten an. Seit dem besuchte ich den Skatepark regelmäßig. Anfangs waren es weniger Tricks, als einfach eine Spielwiese, um meinen Rollstuhl noch besser beherrschen zu lernen.

Cool, ich kann Skate-Workshops machen

Auch in der Stadt nutzte ich jede Gelegenheit: Treppen, Rampen, Kanten, Mauern. Alles, was potenziell nicht mit dem Rollstuhl bezwingbar war, war gerade Herausforderung genug. Wenn jemand sagte: „Da kommst du mit dem Rollstuhl nicht hoch/rein“, dann war das mein Startzeichen!

2012 flog ich das erste mal in die USA, um mit anderen Rollstuhlskatern bei „They Will Skate Again“ eine fette Session zu haben. Ich lernte in den zwei Tagen dort mehr als in den vier Jahren zuvor! Nicht zuletzt deswegen wollte ich nun auch in Deutschland andere begeistern mit mir in den Skatepark zu kommen. Doch vielen Skatehallen war das noch zu heikel, Versicherung und so…

Auf einem Sommerfest der UKB Berlin lernte ich jemanden vom Deutschen Rollstuhl-Sportverband kennen. Er meinte, wir sollten Skate-Workshops organisieren, und ich war Feuer und Flamme. Zusammen mit dem Hamburger Verein UTE e.V. gab es dann auch bald den ersten Skate-Workshop für Rollstuhlfahrer in Hamburg.

Vom Unfallopfer zum Vorbild

Ich war zwar regelmäßig skaten und spielte auch Rollstulhbasketball, aber in Helsinki fand ich eine neue Spielwiese: die Natur! Die Felsen, in der Eiszeit geformt, waren wunderbar um sie mit dem Rollstuhl zu bezwingen. Ich machte davon Videos und stellte sie auf Youtube, und sie wurden gesehen! Sogar von jemandem, der mir daraufhin ein Jobangebot in Dortmund machte.

Nach meiner Zeit in Berlin, die eine Phase des „Es kann jeden Tag vorbei sein“-Lebens war, mit viel Party, Konzerten, Fast Live halt, war Dortmund nun viel ruhiger. Vor allem hatte ich eine feste Arbeit, einen geregelten Rhythmus, und es kamen die Skateworkshops dazu. Ich fand also gleich mehrere neue Aufgaben. Aufgaben, die mich erfüllten und glücklich machten. Der Typ, der einen Treppenschacht runtergefallen war, war nun auf einmal Vorbild und Motivation für andere.

Lisas Funken treffen mich

© Anna Spindeldreier

Bei einem dieser Skateworkshops lernte ich Lisa kennen. Wie Augenzeugen berichten, funkte es sofort sehr stark zwischen uns. Obwohl ich behaupte, den Workshop ganz professionell durchgeführt und niemanden besonders bevorzugt zu haben. Aber die Funken waren wohl hell und so trafen Lisa und ich uns schon am nächsten Tag wieder in der Dortmunder Skatehalle. Trotz der hellen Funken brauchten wir noch einige Skate Sessions, Kinobesuche und sogar einen Hamburgtrip, um diese Funken endlich selbst zu erkennen.

In den folgenden Jahren gab es viele Skate-Workshops, und es entstand eine kleine Szene, mal aktiver und mal weniger, aber beständig wachsend. Medieninteresse begleitete die Anfangsphase, was die Nachfrage in enorme Höhen katapultierte. Das Problem war, dass ich mittlerweile fast jedes Wochenende unterwegs war und kaum noch Zeit hatte, etwas anderes zu machen. Fast unbemerkt war ich dem Burnout nahe. Zum Glück fanden sich mittlerweile einige Skater, die Workshops übernehmen konnten, sodass ich mich etwas sortieren konnte.

Na klar: sit’n’skate!

In dieser Sortierung entstanden neue Projekte, wie zum Beispiel „sit’n’skate“, was aber auch Schritt für Schritt passierte. Ich musste mich erst freiberuflich selbstständig machen, ein Filmprojekt starten und Teil eines gleichnamigen Fotobandes werden, um das Offensichtliche zu sehen: SIT’N‘SKATE!

Mittlerweile darf ich mich Deutscher WCMX-Meister nennen, war Weltmeister, bin mehrfacher Bronzegewinner bei internationalen WCMX Competitions. Es gab die ersten WCMX Meisterschaften in Deutschland, ich bereise mit Lisa die Welt, wohne in Hamburg und habe einen Job und Aufgaben, für die ich gerne aufstehe.

Mit Vollgas in die nächsten zehn Jahre

Als ich vor zehn Jahren die Diagnose bekam, war das alles nicht vorherzusehen. Es war schlicht unmöglich, mit dem Rollstuhl skaten zu gehen oder die Welt zu bereisen. Es war unvorstellbar, dass dieses Häufchen Elend in dem Krankenhausbett ein Vorbild und Motivator für andere sein könnte. Aber mit kleinen Zielen und den damit verbundenen Erfolgserlebnissen konnte ich das Unmögliche möglich machen und schaffe heute Sachen, die ich vorher nicht für möglich gehalten habe!

Auch heute ist es unvorstellbar, was in den nächsten zehn Jahren passiert, aber dieses mal bin ich mir sicher, dass wir in zehn Jahren wieder auf tolle Erinnerungen, große Erfolge und viele Meilensteine zurückblicken können. In diesem Sinne: Auf die nächsten zehn Jahre und die beginnen heute mit einem Roadtrip Richtung Süden… Stay tuned!

Sit’n’skate – Destroying stereotypes

Für Lisa Schmidt und David Lebuser, die beiden Gründer sind sitzen und skaten kein Widerspruch. Deshalb haben sie gemeinsam mit ihrer Freundin Anna Spindelndreier, einer Fotografin, das Projekt sit’n’skate ins Leben gerufen. Gemeinsam haben sie sich vorgenommen, das Bild von behinderten Menschen durch coole Aktionen und stylische Fotos aufzupolieren. Unter dem Motto „Es geht immer mehr als man denkt“ zeigen die drei, dass der Rollstuhl kein staubiges, graues Hilfsmittel, sondern ein cooles Sportgerät sein kann. Dafür bieten sie eine Reihe von Kursen und Veranstaltungen an, zum Beispiel WCMX Skate-Workshops, Rollstuhl-Selbsterfahrungskurse, Mitarbeiterschulungen, Rollstuhltrainings und viele andere mehr. Alle Infos dazu gibt’s auf der Internetseite www.sitnskate.de. Zahlreiche Videos von Lisa und David findet man auf Youtube, wo es auch einen eigenen Kanal von Sit’n’skate gibt.

(Text: David Lebuser)

David Lebuser fühlt sich im Skatepark wohl
© Björn Lubetzki
Vom Unfallopfer zum Vorbild: David Lebuser