MOBITIPP: Karina, Du sitzt im Rollstuhl und arbeitest heute als Physiotherapeutin im Therapiezentrum Burg Sagenhaft im rheinländischen Leichlingen. Hast Du auch Rollstuhlfahrer unter Deinen Klienten?
Karina Lauridsen: Ich habe als Physiotherapeutin schon viele Menschen behandelt. Darunter waren Rollstuhlfahrer, aber zum Beispiel auch Menschen mit Parkinson oder Menschen mit Arm- und Beinamputationen. In Dänemark habe ich zum Beispiel eine Handball- und eine Fußballmannschaft betreut. Auch Schwimmer und Golfer. Ich habe ja seit meinem zwölften Lebensjahr Leistungssport betrieben. Das war von großem Vorteil bei den Therapien, weil ich ein besonderes Verständnis für den Körper mitbringe. Ich bin also nicht auf Rollstuhlfahrer spezialisiert.
MOBITIPP: Wie bist Du in den Rollstuhl gekommen?
Karina Lauridsen: Mit Mitte zwanzig arbeitete ich bei der Luftwaffe. Bei einem Übungssprung verwickelte sich der Reserveschirm aufgrund eines technischen Fehlers mit dem Hauptschirm und dann ging es 1.000 Meter abwärts. Seitdem bin ich Paraplegikerin, querschnittgelähmt ab dem 8. Brustwirbel.
MOBITIPP: Du warst nur sechs Monate in der Rehaklinik. Das klingt wenig in Anbetracht Deines Unfalls.
Karina Lauridsen: Mir ging es trotzdem fast zu langsam. Ich wollte schnell in mein Leben zurück. In so einer Situation gibt es ohnehin nur zwei Wege: Entweder man versinkt in Selbstmitleid. Das passt nicht zu mir. Deshalb habe ich von Anfang an viel getan und ausprobiert, was noch geht und was nicht und wo ein neuer Weg sein könnte.
MOBITIPP: Wie ging es in Deinem Beruf weiter?
Karina Lauridsen: Ich schloss meine Ausbildung zur Diplomingenieurin für Maschinenbau ab. Doch der berufliche Alltag stellte sich dann doch als zu stressig für mich heraus. Deshalb habe ich eine Ausbildung zur Masseurin und zur Diplomtrainerin für Krafttraining absolviert. Ich wollte mich gerne mehr mit dem Körper und mit Menschen beschäftigen. Nach einiger Zeit bekam ich grünes Licht für das Studium der Physiotherapie an der Universität. Seit 2012 arbeite ich als Physiotherapeutin.
MOBITIPP: Musstest Du viele Vorurteile überwinden, bis Du eine berufliche Chance bekamst?
Karina Lauridsen: Ja, das war überhaupt nicht einfach. Ich musste ständig beweisen, dass ich tatsächlich in der Lage bin, meinen Beruf auszuüben. Schon während meiner Ausbildung habe ich deshalb Therapeuten eingeladen und auf Gesundheitsveranstaltungen Vorträge gehalten und gezeigt, dass man auch im Rollstuhl als Physiotherapeutin arbeiten kann.
MOBITIPP: Wo siehst Du Deine Stärke?
Karina Lauridsen: Meine Stärke ist definitiv, dass ich etwas anders denke. Das hat auch damit zu tun, dass ich nicht laufen kann. Schon während der Ausbildung musste ich mir andere Techniken einfallen lassen, weil es Handgriffe und Bewegungsabläufe gibt, die im Stehen einfach besser funktionieren.
Ich musste alles umdenken: Wie kann dieses und jedes funktionieren? Da habe ich in der Ausbildung extrem viel herumexperimentiert. An meinem Körper, mit Freunden und Bekannten. Ich habe mich da richtig tief hineingearbeitet.
Ich konzentriere mich nicht nur auf die Problemstelle, sondern betrachte den Körper als eine Einheit. Denn die Ursache für ein Problem mit dem Knie oder mit einem Fuß kann ja an einer anderen Stelle liegen. Aber viele Menschen kennen ihren Körper und seine Reaktionen überhaupt nicht mehr. Das ist manchmal geradezu erschreckend.
MOBITIPP: Haben wir verlernt, was unser Körper braucht?
Karina Lauridsen: Viele Körperteile werden total vergessen. Die meisten Menschen pflegen zwar ihr Gesicht und ihre Haare, tun aber nichts für ihre Füße. In den Fitnessstudios trainieren die Besucher ihre Vorderseite und vergessen dabei ihre Rückseite. Da gibt es viele Beispiele.
Das Äußere ist heute sehr wichtig, aber der Respekt vor dem Körper ist verloren gegangen. Es ist schade, dass viele Menschen zwar viel für ihren Körper tun, aber zu wenig, damit er auch fit und gesund bleibt.
MOBITIPP: Erlebst Du auch Klienten, die Dir gegenüber skeptisch sind?
Karina Lauridsen: Das gab es ab und zu. Aber jetzt schon lange nicht mehr. Es gibt halt Menschen, die nicht mit Behinderung umgehen können. Das ist aber deren Problem, nicht meines. Ich habe natürlich auch meine Grenzen. Wenn ich sehe, das geht nicht, gebe ich diese Klienten an meine Kollegen weiter.
MOBITIPP: Kannst Du verstehen, wenn Klienten sagen, sie hätten keine Zeit, die Übungen aus der Therapie zuhause zu machen?
Karina Lauridsen: Keine Zeit – das ist Blödsinn. Es gab noch nie so viele Leute mit Schulter-, Rücken-, Schlafproblemen und Übergewicht wie heute. Und es werden immer mehr. Jeder Mensch hat mindestens zehn Minuten täglich, um etwas Sinnvolles für seinen Körper zu tun.
Wir Therapeuten können ja echt viel machen. Aber wir können Menschen nicht langfristig helfen, wenn sie nicht mitmachen.
MOBITIPP: Wie wichtig ist Fitness für Rollstuhlfahrer?
Karina Lauridsen: Als Rollstuhlfahrer macht man alles mit den Armen. Da muss man definitiv seine Stabilität im Oberkörper trainieren, vor allem den Schulterbereich. Solch ein Training kann man gut zuhause machen.
MOBITIPP: Hat Dir Sport nach dem Unfall geholfen, wieder ins Leben zu finden? Du hast ja danach auch sportlich wieder richtig losgelegt und Spitzenplätze bei Paralympischen Spielen belegt.
Karina Lauridsen: Der Sport hat mir nach dem Unfall sehr geholfen. Wenn man sich körperlich herausfordert, wird man auch vieles los und kann dadurch mehrere Sachen bearbeiten und bewältigen.
MOBITIPP: Welchen Sport machst Du heute?
Karina Lauridsen: Ich reite leidenschaftlich gern. Vor oder nach der Arbeit fahre ich zum Reiterhof und kümmere mich um meine beiden Pferde Florial und Sir William. Das ist eine sehr gute Kraftquelle für mich.
Wer mehr über Karinas sportliche Karriere im Para-Spitzensport wissen möchte, findet hier weitere Informationen: https://en.wikipedia.org/wiki/Karina_Lauridsen