Kleine Fahrschule für manuelle Rollstühle

Tipps und Tricks für mehr Mobilität im Alltag

Auf den ersten Blick sieht Rollstuhlfahren so einfach aus: reinsetzen und losfahren. Und genau so ist es auch. Wer jedoch die Fahrweise von Anfängern mit der von erfahrenen Rollstuhlfahrern vergleicht, erkennt schnell riesige Unterschiede. Diese haben einen guten Grund. Wer sein Hilfsmittel sicher beherrscht, ist im Alltag mobiler und selbstständiger. Wir zeigen Ihnen deshalb hier die wichtigsten Techniken.
Man sieht einen Rollstuhlfahrer, der eine abschüssige Strecke auf den Hinterrädern herunterfährt.
(c) Jens Krümmel
Rollstuhlfahren will gekonnt sein

Geradeausfahren auf ebener Fläche

Insbesondere Anfänger neigen dazu, den Rollstuhl durch kurze, schnelle Schübe oben an den Greifreifen anzutreiben. Diese Vorsicht ist nachvollziehbar, aber auch sehr uneffektiv und wenig ergonomisch. Greifen Sie stattdessen mit beiden Händen parallel möglichst weit hinten, etwa in Höhe der Rückenrohre, an die Greifreifen und ziehen diese mit einem gleichmäßigen Schwung weit nach vorne. Unter Umständen können Sie diese Bewegung unterstützen, indem Sie sich nach vorne beugen.

 

Rechtlicher Hinweis

Einige der von uns in diesem Beitrag gezeigten Techniken werden von den Rollstuhlherstellern als gefährlich und für ihre Rollstühle ungeeignet bewertet. Wir zeigen sie dennoch, weil zahllose erfahrene Rollstuhlfahrer, diese Techniken nutzen, um im Alltag mobiler und selbstständiger zu sein. Bei ausreichenden körperlichen Voraussetzungen und viel Übung ist die Ausübung dieser Techniken in den allermeisten Fällen unkritisch. Wir weisen dennoch ausdrücklich darauf hin, dass die Nutzung dieser Techniken gefährlich sein und zu schweren Verletzungen führen kann. Die Einschätzung Ihrer Möglichkeiten und des Risikos zur Nutzung Ihres Rollstuhls in jedweder Weise liegt allein bei Ihnen, wir übernehmen dafür keinerlei Haftung. Lassen Sie sich im Zweifel von Ihrem Psychotherapeuten beraten oder besuchen Sie ein Mobilitätstraining.

Lenken

Ein manueller Rollstuhl wird ausschließlich über die Antriebsräder (also die Hinterräder) gelenkt. Sie müssen in der Regel weder Ihr Gewicht verlagern noch irgendwelche Hilfsmittel einsetzen. Sobald Sie die Antriebsräder nicht gleichmäßig antreiben oder abbremsen, fährt Ihr Rollstuhl eine Kurve. Je stärker die Abweichung ist, desto enger wird die Kurve. Treiben Sie die Räder gegenläufig an (also eines nach vorne, eines nach hinten), dreht der Rollstuhl sich auf der Stelle. Achten Sie bei abrupten Lenkbewegungen darauf, dass die Lenkräder (also die kleinen Vorderräder) erst wieder durch eine kurze Drehung des Rollstuhls in Laufrichtung gedreht werden müssen.

Bremsen

Wie bei jedem Fahrzeug ist nicht das Fahren mit Tempo die wahre Kunst, sondern die Beherrschung des Bremsens. In der Regel erfolgt dies bei manuellen Rollstühlen über eine Verzögerung der Drehbewegung der Greifreifen mit den Händen. Um mehr Kraft in den Vorgang zu bringen, kann es hilfreich sein, wenn Sie sich während des Abbremsens leicht zurücklehnen. Wählen Sie Ihre Geschwindigkeit stets so, dass Sie sie sicher beherrschen. Beachten Sie, dass beim Abbremsen durch die Reibung am Greifreifen Wärme entsteht, die auf Dauer an den Händen unangenehm werden kann.

Bei den am Rollstuhl angebrachten Bremsen handelt es sich in der Regel um Feststellbremsen. Damit können Sie Ihr Hilfsmittel gegen das Wegrollen sichern, wenn Sie längere Zeit an einem (unebenen) Ort verweilen möchten. Nur in Ausnahmefällen und mit ausreichend Übung können die Feststellbremsen an besonders steilen Gefällstrecken auch zum Abbremsen der Fahrgeschwindigkeit genutzt werden, um die Hände zu schonen.

Rangieren an engen Stellen

Manuelle Rollstühle sind sehr wendig und können auf der Stelle drehen. Dennoch beanspruchen Sie eine deutlich größere Grundfläche als ein Fußgänger. An engen Stellen, zum Beispiel in Fluren, Aufzügen oder im öffentlichen Nahverkehr kann es deshalb vorkommen, dass Sie diese nicht in einem Zug befahren können. In diesem Fall kann es möglich sein, das Hindernis durch mehrmaliges Vor- und Zurückfahren zu meistern. Damit Sie dieser Aufgabe im Alltag gewachsen sind, empfehlen wir Ihnen, zu Hause das Befahren von Engpässen zu üben, zum Beispiel mithilfe von Pappkartons. In der größten Not hilft Ihnen sicher auch gerne ein netter Passant.

Befahren von Steigungen

Das Befahren von Steigungen unterscheidet sich durch das Fahren in der Ebene im Wesentlichen durch die Gefahr nach hinten überzukippen. Je steiler die Steigung, desto größer die Gefahr. Deshalb ist es wichtig, dass Sie sich beim Befahren von Steigungen nach vorne beugen, um den Schwerpunkt zu verlagern. Unter Umständen kann dabei der Oberkörper beinahe auf den Beinen aufliegen. Achtung: Durch einen Rucksack an der Rückenlehne steigt die Gefahr des Umkippens. Üben Sie das Befahren von Steigungen und fahren Sie nur solche, die Sie sich zutrauen! Es kann gefährlich sein, wenn Sie auf halber Strecke stehenbleiben und/oder sich quer zur Steigung stellen müssen.

Befahren von Gefällstrecken mit vier Rädern

Diese Methode sollten Sie nur bei sehr flachem Gefälle anwenden oder wenn es Ihnen körperlich nicht anders möglich ist. Da das Gewicht sich beim Bergabfahren auf die kleinen Vorderräder verteilt, reicht schon ein kleiner Stein oder eine niedrige Kante, um den Rollstuhl abrupt zu stoppen. Das kann dazu führen, dass Sie nach vorne aus dem Rollstuhl fallen. Befahren Sie deshalb nur moderate Gefällstrecken mit allen vier Rädern, und zwar so langsam wie möglich. Lehnen Sie sich dabei so weit es geht nach hinten.

Das mitunter empfohlene Rückwärtsfahren halten wir für keine geeignete Alternative. Erstens sehen Sie dann nicht mehr, wo Sie hinfahren. Zweitens ist die Gefahr des Überkippens sehr hoch. Auf ausreichend breiten Wegen mit glattem Untergrund kann das Fahren im Zickzack eine gute Lösung sein, allerdings nur dann, wenn Sie sich gegen den Berg lehnen, um nicht seitlich umzufallen.

Befahren von Gefällstrecken auf zwei Rädern

Um diese Technik sicher anwenden zu können, müssen Sie vorher ausgiebig üben, nur auf den Hinterrädern zu fahren. Dazu benötigen Sie eine Person, die Sie gegen das Umfallen nach hinten absichert. Zunächst geben Sie Ihrem Rollstuhl über die Greifreifen einen kräftigen Schub nach vorne und verlagern Ihr Gewicht gleichzeitig ruckartig nach hinten. Kurz vor dem Kipppunkt fangen Sie den Rollstuhl wieder ab und halten ihn durch Gewichtsverlagerung und kleine Korrekturen an den Greifreifen im Gleichgewicht. Sobald Sie sicher stehen, können Sie durch vorsichtiges Antreiben der Greifreifen nur auf den beiden Hinterrädern fahren.

Wenn Sie diese Übung auf ebener Fläche sicher beherrschen, können Sie sich daran machen, erste leichte Gefällstrecken zu befahren. Dazu kippen Sie oben an der Gefällstrecke den Rollstuhl an, lassen dann die Greifreifen durch die Finger gleiten und fahren langsam bergab. Je sicherer Sie werden, desto steilere Strecken können Sie auf diese Weise befahren. Sie sollten aber stets bedenken, dass die Hände durch das Abbremsen sehr heiß werden können und es je nach Gefälle nahezu unmöglich sein kann anzuhalten. Überschätzen Sie also nie Ihre Fähigkeiten!

Stufe herunterfahren

Die meisten Rollstuhlhersteller bezeichnen schon das Befahren von Stufen über einer Höhe von etwa fünf Zentimetern als gefährlich und schließen Schäden, die durch eine missbräuchliche Nutzung entstehen, von der Garantie aus. Im Alltag würde die Beachtung dieser Vorgabe zu großen Einschränkungen führen, weshalb erfahrene Rollstuhlfahrer auch sehr viel höhere Stufen allein herunterfahren – natürlich immer auf eigenes Risiko. Bis zu 20 Zentimeter sind auf diese Weise recht bequem möglich, Profis schaffen noch höhere Stufen oder sogar ganze Treppen. Wie bei allen Übungen gilt auch hier: Fangen Sie sachte an und überschätzen Sie sich nicht. Bitten Sie jemanden, Sie zu sichern und steigern Sie erst dann die Höhe, wenn Sie sich absolut sicher fühlen.

Erste Voraussetzung für das Herabfahren von Stufen ist, dass Sie das Ankippen und Fahren auf den Hinterrädern sicher beherrschen. Lehnen Sie dabei den Oberkörper etwas vor (um besser ausgleichen zu können) und rollen Sie im rechten Winkel langsam auf die Kante zu. Sobald die Hinterräder über die Kante gerollt sind, bremsen sie die Räder über die Greifreifen ab. Obwohl Sie sich im Prinzip kurz im freien Fall befinden, ist die Haftung der Räder an der Kante erstaunlich gut und Sie können auf diese Weise den Aufprall deutlich abmildern. Erst wenn Sie mit den Hinterrädern unten aufgesetzt haben, senken Sie auch die Vorderräder wieder auf den Boden ab.

Als Alternative wird mitunter empfohlen, kleinere Stufen rückwärts herunterzufahren. Davon raten wir jedoch ab, weil die Gefahr, nach hinten überzuschlagen groß ist. Zudem kann man sich nach hinten viel schlechter abfangen als nach vorne, weshalb die Verletzungsgefahr deutlich höher ist.

Man sieht die Vorderräder eines manuellen Rollstuhls, die etwas angehoben sind, damit der Nutzer eine flache Kante hinauffahren kann.
(c) Jens Krümmel

Stufe hochfahren

Auch für das Hochfahren von Stufen setzen die Rollstuhlhersteller enge Grenzen, deren Einhaltung die Mobilität im Alltag arg einschränken würde. Deshalb hat sich bei erfahrenen Rollstuhlfahrern eine Technik etabliert, die es ermöglicht, auch Stufen bis zu zehn Zentimetern Höhe und sogar mehr selbstständig zu überwinden. Diese Technik erfordert viel Übung und sollte in einer möglichst fließenden Bewegung durchgeführt werden. Wie immer gilt: Fangen Sie sachte an und lassen Sie sich von einer Hilfsperson sichern.

Auch beim Hochfahren von Stufen und Kanten ist Voraussetzung, dass Sie sicher nur auf den Hinterrädern fahren können. Etwa 20 bis 50 Zentimeter vor der Stufe heben Sie die Vorderräder während der Fahrt an, und zwar höher als die Kante ist. Sobald Sie diese erreicht haben und die Vorderräder darüber sind, setzen Sie sie auf der Stufe auf, lassen den Rollstuhl weiterrollen und greifen wieder nach hinten an die Greifreifen. Nun lehnen Sie sich nach vorne (um das Gewicht zu verlagern) und geben dem Rollstuhl genug Schwung, um mit den Hinterrädern die Stufen hinaufzurollen.

Sollte das Timing beim ersten Mal nicht stimmen und die Vorderräder zwar oben, aber die Hinterräder noch unten sein, brauchen Sie nicht versuchen, sich manuell die Stufe heraufzuziehen. Das ist fast immer unmöglich. Brechen Sie lieber ab, fahren Sie nach vorne gebeugt langsam rückwärts und versuchen Sie es noch einmal.

(Text: Jens Krümmel, Volker Neumann)

Mehr im Rubrik

Man sieht einen Rollstuhlfahrer, der eine abschüssige Strecke auf den Hinterrädern herunterfährt.
Rollstuhlfahren will gekonnt sein
(c) Jens Krümmel
Titelbild des Mobitipp mit einem Rollstuhlfahrer der den Daumen hoch hält

Sitzen & Positionieren bestellen

Natürliches Sitzen ist sehr viel dynamischer als sein Ruf. Deshalb ist es für Menschen mit eingeschränkten körperlichen Fähigkeiten besonders wichtig, richtig zu sitzen, um Schäden zu vermeiden und die Lebensqualität zu erhöhen. Wie das geht und worauf man achten muss, haben wir in dieser Ausgabe zusammengefasst.

Versand nach