Der halbdokumentarische Experimentalfilm der rumänischen Regisseurin Adina Pintilie ‚Touch Me Not‘, was im Deutschen in etwa „Rühr mich nicht an“ bedeutet, hat 2018 überraschend den Goldenen Bären gewonnen. Die Kamera begleitet drei Personen, darunter auch Christian Bayerlein, wie sie sich auf Intimität einlassen, und gibt den Zuschauern dabei einen Einblick in ihre Gefühlswelten.
MOBITIPP: In ‚Touch Me Not‘ nehmen Sie mit einem anderen Mann an einer Berührungstherapie teil und beginnen später mit einer Frau, die von Ihrer Lebensgefährtin gespielt wird, eine intime Beziehung. Was hat Sie an Ihrer Rolle gereizt?
Christian Bayerlein: Ich hatte Adina Pintilie 2011 bei einem Workshop kennengelernt. Sie hat mir von ihrem Filmprojekt erzählt und wollte mich dabei haben, weil sie mich und meinen Hintergrund interessant fand.
Ich befasse mich schon lange mit selbstbestimmter Sexualität von Menschen mit Behinderung und betreibe zum Beispiel auf meinem Blog www.kissability.de und in Beiträgen für soziale Netzwerke Öffentlichkeitsarbeit zu diesem Thema. Wir brauchen kein Mitleid, sondern eine Gesellschaft, in der wir Sexualität und Intimität mit der gleichen Selbstverständlichkeit leben können, wie jeder andere Mensch.
‚Touch Me Not‘ bewegt sich filmisch an der Grenze zwischen Dokumentation und Spielfilm. Manche Handlungen waren vorgegeben. Aber es wurde auch viel improvisiert. Das war eine spannende Erfahrung und eine gute Möglichkeit, auf das Thema aufmerksam zu machen.
MOBITIPP: Sie sind in dem Film der einzige Darsteller mit einem positiven Körperbild.
Christian Bayerlein: Das stimmt und es entspricht auch der Realität. Ich bin mit meinem Körper im Reinen. Warum auch nicht?
Touch Me Not auf Tour durch Europa
MOBITIPP: Der Film hat auf der Berlinale viel Aufsehen erregt. Viele Zuschauer hätten wegen schockierender Szenen den Saal verlassen, hieß es in den Medien. Von „verstörenden Körperbildern“ ist zu lesen, von „rumänischem Nacktschocker“. Was war da los?
Christian Bayerlein: So wie ich das Ganze vor Ort erlebt habe, wurde von einigen Medien eine künstliche Aufregung produziert. Eine Zeitung fängt damit an, die anderen orientieren sich daran. Bei der Pressevorführung ist es normal, dass Journalisten kommen und gehen. Sie müssen auf der Veranstaltung viele Filme in kurzer Zeit anschauen und beurteilen.
Am folgenden Tag war eine Publikumsvorführung mit über 1.000 Zuschauern. Sicher waren auch Menschen dabei, denen der Film nicht gefallen hat oder denen er zu weit gegangen ist. Aber es gab keine großen Fluchtbewegungen, wie suggeriert wurde.
Dass ‚Touch Me Not‘ kontrovers diskutiert wird, war zu erwarten. Der Film stellt Tabus infrage. Aber von Skandal kann keineswegs die Rede sein und schon gar nicht von einem ,rumänischen Nacktschocker‘.
MOBITIPP: Was hat sich für Sie durch die breite Öffentlichkeit verändert, die ‚Touch Me Not‘ geschaffen hat?
Christian Bayerlein: Es gibt ein verstärktes Interesse von den Medien, mehr Interviewanfragen und Einladungen zu Veranstaltungen als sonst. Aber nicht nur ich werde interviewt, sondern auch die anderen Schauspieler und vor allem Adina Pintilie als Macherin des Films.
Aktuell wird ‚Touch Me Not‘ europaweit auf internationalen Festivals vorgestellt. Er war bereits in Rumänien, Anfang Juli kommt er nach Tschechien, Ende Juli nach Polen. Ob er in Israel gezeigt wird, ist noch offen. Es freut mich jedenfalls, dass jetzt internationale Mainstream-Medien wie die Cosmopolitan und Men’s Health über Sexualität und Behinderung berichten.
Wenn Offenheit als Provokation empfunden wird
MOBITIPP: Ihr offener Umgang mit Ihrer Sexualität hat Ihnen in der Vergangenheit auch handfeste Nachteile beschert.
Christian Bayerlein: Nachdem ich fünf Jahre lang Behindertenbeauftragter der Stadt Koblenz war, verhinderte 2015 vor allem die Koblenzer CDU meine Wiederwahl. Angeblich habe ich mit meinen öffentlichen Äußerungen zu meiner Sexualität wiederholt eine Grenze überschritten.
Hintergrund dürfte vor allem ein Interview mit einer großen Berliner Tageszeitung zu dieser Zeit gewesen sein, in der ich über meine Erfahrungen mit verschiedenen sexuellen Ausrichtungen und Lebensweisen gesprochen habe. Schließlich sind wir keine asexuellen Neutren. Da bin ich dann auch mal schamlos – im besten Sinne des Wortes.
Hier findet Ihr den Blog von Christian Bayerlein: www.kissability.de