Cybersicherheit wird zur Mobilitätsbarriere

Warum die UN-Regelung R155 für behindertengerechte Autoumbauten dringend nachgebessert werden muss

Die Digitalisierung der Automobilwelt gilt als Meilenstein: Assistenzsysteme, autonome Fahrfunktionen und Over-the-Air-Updates machen moderne Fahrzeuge komfortabler und sicherer. Doch genau dieser Fortschritt hat eine unbeabsichtigte Kehrseite. Die neue UN-Regelung R155 zur Cybersicherheit schützt Fahrzeuge zwar effektiv vor Hackerangriffen, macht aber barrierefreie Fahrzeugumbauten für Menschen mit Behinderung immer schwieriger – und bei manchen Modellen sogar unmöglich.
(c) KADOMO GmbH
Cybersecurity droht Mobilität einzuschränken

Seit 2024 dürfen neue Fahrzeugtypen in Europa nur noch zugelassen werden, wenn sie der UN-Regelung R155 entsprechen. Ziel ist es, Manipulationen durch Cyberangriffe zu verhindern. Ein nachvollziehbares Anliegen, denn ein erfolgreicher Angriff könnte theoretisch tausende Fahrzeuge gleichzeitig lahmlegen. Die Kehrseite: R155 blockiert den Zugriff auf viele sicherheitsrelevante Systeme – darunter Licht, Blinker, Hupe oder Gangwahl. Fahrzeugumrüster, die bisher über digitale Schnittstellen barrierefreie Steuerungen integrieren konnten, stehen nun vor verschlossenen Türen.

Mechanik statt Hightech – ein Rückschritt

Was bislang mit eleganten, softwaregestützten Lösungen funktionierte, muss heute häufig wieder mechanisch gelöst werden. Kleine Elektromotoren und Gestänge betätigen physisch die Originalhebel – eine Technik, die als Übergangslösung akzeptabel, langfristig aber problematisch ist. „Das ist teurer, störanfälliger, optisch wenig ansprechend und sicherheitstechnisch nicht das Optimum“, kommentiert Frank Rösner, Geschäftsführer des Fahrzeugumrüsters KADOMO. „Wir haben längst sichere, digitale Lösungen – dürfen sie aber nicht mehr einsetzen. Das ist absurd.“

Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Kunde, der sein Fahrzeug über einen Joystick steuert, konnte sein neues Modell erst nach monatelanger Wartezeit umbauen lassen, weil die Software-Ansteuerung blockiert war. Am Ende musste KADOMO auf mechanische Umlenkungen zurückgreifen – eine Lösung, die nicht nur mehr kostet, sondern auch mehr Wartungsaufwand bedeutet.

Branche schlägt Alarm

Auch andere führende Anbieter wie Paravan und die gemeinnützige Organisation „Mobil mit Behinderung“ warnen vor den Folgen der neuen Cybersicherheitsvorgaben. Denn was heute nur einzelne Modelle betrifft, wird in wenigen Jahren zum strukturellen Problem – insbesondere bei Fahrzeugen mit hochautomatisierten Fahrfunktionen. Für viele Menschen mit Behinderung bedeutet das weniger Auswahl, höhere Umbaukosten und im schlimmsten Fall den Verlust der individuellen Mobilität.

Eine gemeinsame Stimme ist gefragt

Damit technischer Fortschritt nicht zur Barriere wird, fordern die Umrüster praxisnahe Nachbesserungen:

  • Zertifizierte Umbauer brauchen einen abgesicherten Zugang zu sicherheitsrelevanten Schnittstellen.
  • Es müssen klare Ausnahmeregelungen für behindertengerechte Fahrzeuganpassungen geschaffen werden.
  • Praxisexperten, Behindertenverbände und spezialisierte Unternehmen müssen frühzeitig in die Weiterentwicklung internationaler Vorschriften eingebunden werden.

Immer deutlicher wird auch der Ruf nach einer konzertierten Aktion aller Beteiligten, also der Hersteller, aus der Politik, aber auch aus den Sozialverbänden und natürlich der Branche selbst. Insbesondere der Verband der Fahrzeugumrüster für mobilitätseingeschränkte Personen (VfmP) wird zunehmend in der Verantwortung gesehen, sich mit klarer Haltung zu positionieren.

(Text: Volker Neumann)

Cybersecurity droht Mobilität einzuschränken
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