Goldene Regeln der Hilfsmittelbeantragung

Wer das Prozedere kennt, kann Ablauf und Qualität der Versorgung positiv beeinflussen

Viele mobilitätseingeschränkte Menschen schieben die Beantragung von Hilfsmitteln auf oder nehmen zweitklassige Versorgungslösungen in Kauf, weil sie den Aufwand über die gesetzlichen Krankenkassen scheuen. Doch wer die Spielregeln kennt, kann Anträge schneller und erfolgreicher durchzusetzen.
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Hilfsmittelbeantragung: Experte in eigener Sache werden

Medizinische Hilfsmittel unterstützen Menschen mit Erkrankungen und Behinderungen dabei, ihren Alltag selbstständiger und mit weniger Einschränkungen zu gestalten. Die Produktpalette reicht von digitalen Gesundheits-Apps über Rollatoren, Rollstühle, Trainingsgeräte, Prothesen, Inhalations- und Inkontinenzartikel bis hin zu Hör- und Sehhilfen sowie Zuggeräte.

Nicht jedes Hilfsmittel ist erstattungsfähig. Produkte mit geringem therapeutischem Nutzen, preiswerte Artikel oder Alltagsgegenstände fallen meist aus. Ausnahmen sind möglich, wenn ein Gegenstand speziell für Menschen mit Behinderung entwickelt wurde. Eine Nachfrage bei der Krankenkasse lohnt sich daher in jedem Fall.

Die Hilfsmittelnummer

Das Hilfsmittelverzeichnis des GKV-Spitzenverbandes listet Produkte, für die eine Leistungspflicht der Krankenkassen besteht. 2024 waren rund 44.000 Hilfsmittel in 42 Produktgruppen enthalten. Neben klassischen Rehabilitationshilfen sind auch Pflegehilfsmittel aufgeführt, für die in der Regel die Pflegekasse zuständig ist.

Die Hilfsmittelnummer ist kein zwingendes Kriterium für die Kostenübernahme, sondern dient vor allem der Orientierung für Versicherte, Leistungserbringer und Vertragsärztinnen und -ärzte. Unter bestimmten Voraussetzungen können auch Hilfsmittel ohne die 10-stellige Hilfsmittelnummer erstattet werden. Die rechtlichen Hintergründe dazu erklärt Rechtsanwalt Christian Au in diesem Video.

Krankenkassen überweisen kein Geld, sondern übernehmen Kosten oder stellen Hilfsmittel leihweise bereit, etwa Rollstühle. Diese bleiben Eigentum der Kasse und müssen zurückgegeben werden, wenn sie nicht mehr benötigt werden.

Anspruchsgrundlage

Der Anspruch von gesetzlich Versicherten auf Hilfsmittel ist in § 33 Sozialgesetzbuch V geregelt. Voraussetzung für eine Kostenübernahme ist, dass das Hilfsmittel erforderlich ist, um

  • den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern
  • einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder
  • eine Behinderung auszugleichen

Die meisten Hilfsmittel werden Experten zufolge zum Ausgleich einer Behinderung verordnet. Dabei wird zwischen unmittelbaren und mittelbaren Ausgleich unterschieden.

Beim unmittelbaren Ausgleich wird eine ausgefallene Körperfunktion, etwa das Laufen, durch eine Prothese wiederhergestellt. Das ist beim mittelbaren Ausgleich, zum Beispiel durch die Nutzung eines Rollstuhls, nicht der Fall. Der Unterschied: Der Anspruch auf mittelbaren Ausgleich unterliegt dem Wirtschaftlichkeitsgebot – das Hilfsmittel muss ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens erfüllen, damit ein Anspruch Aussicht auf Erfolg hat. Bei einem Rollstuhl ist dies in der Regel unbestritten.

Wer aus seiner Sicht zum Beispiel zwingend ein Handbike benötigt, muss sehr überzeugend darlegen, welches Grundbedürfnis des täglichen Lebens damit erfüllt wird. Freizeitaktivitäten mit der Familie etwa sind nachvollziehbar wichtig, werden aber in der Regel nicht von den gesetzlichen Krankenkassen unterstützt. Dies gilt allerdings nicht unbedingt für Kinder. Welche besonderen Bedingungen hier gelten, erklärt Rechtsanwalt Christian Au.

Ärztliche Verordnung

Grundvoraussetzung für die Kostenübernahme ist in der Regel eine ärztliche Verordnung, die das Hilfsmittel und seine medizinische Notwendigkeit klar beschreibt. Bei standardisierten Produkten erfolgt die Versorgung meist automatisch über Sanitätshäuser oder Apotheken.

Komplexere Hilfsmittel stellen eine größere Herausforderung dar. Ärztinnen und Ärzte können bei der Vielzahl der Angebote auf dem Markt nicht alle Produkte und Leistungsmerkmale in Detail kennen. Wird beispielsweise ein Rollstuhl nur pauschal oder nach einer ungenügenden Bedarfsermittlung verordnet, bekommt der Patient häufig nur ein Modell, das nicht optimal für alle Anforderungen geeignet ist.

Um Fehlversorgung zu vermeiden, lohnt es sich, Fachleute frühzeitig einzubeziehen. Reha-Technik-Spezialisten, Therapeuten und Therapeuten und sogar Lehrkräfte können gemeinsam mit Nutzerinnen und Nutzern die Anforderungen an Technik, Handhabung und Alltagstauglichkeit definieren. Der Aufwand ist zeitintensiv und manchmal schwer realisierbar, aber er zahlt sich aus: Am Ende steht das individuell bestmögliche Hilfsmittel, das die Lebensqualität der Nutzenden deutlich verbessern kann.

Ablehnung und wie weiter?

Wird ein Antrag abgelehnt, kann innerhalb eines Monats schriftlich Widerspruch eingelegt werden. Der Widerspruch muss innerhalb der Frist bei der ablehnenden Stelle vorliegen. Unterlagen und medizinische Nachweise erhöhen die Erfolgschancen. Bei erneuter Ablehnung kann innerhalb derselben Frist Klage vor dem Sozialgericht erhoben werden.

Weitere mögliche Kostenträger

Nicht immer ist die gesetzliche Krankenkasse zuständig. Bei Hilfsmitteln wie Treppenliften ist die Pflegeversicherung der richtige Ansprechpartner, bei beruflichen Belangen die Rentenversicherung oder Arbeitsagentur. Auch Unfallversicherungen oder das Sozialamt kommen unter bestimmten Voraussetzungen als Kostenträger in Frage kommen.

Die MOBITIPPS auf einem Blick

  • Gesetzlich Versicherte haben Anspruch auf ein Hilfsmittel, das von der gesetzlichen Krankenkasse vollständig finanziert wird. In der Regel handelt es sich dabei um ein Standardmodell, das in vielen Fällen ausreichend ist.

  • Besteht die medizinische Notwendigkeit einer höherwertigen Versorgung, muss das verordnete Hilfsmittel nicht zwingend über eine Hilfsmittelnummer verfügen.

  • Für Hilfsmittel können Kosten anfallen: Zuzahlung, Mehrkosten, Aufzahlung oder Eigenanteil. Erkundigen Sie sich rechtzeitig und lassen Sie sich über mögliche Alternativen beraten. Wägen Sie ab, ob die Mehrkosten den Nutzen wert sind.

  • Hilfsmittel belasten nicht das ärztliche Budget. Aus diesem Grund muss keine Ärztin oder kein Arzt die Ausstellung einer Verordnung ablehnen.

  • Werden Sie zum Experten in eigener Sache: Wer sich mit dem Thema Hilfsmittel auskennt, spart Zeit und Nerven und vermeidet die Konsequenzen einer Fehlversorgung.

(Text: Brigitte Muschiol)

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