Rollstuhlbasketball ist ein wunderbarer und beliebter Sport, nur halt leider nicht für jeden gleich gut geeignet. Während nichtbehinderte Menschen relativ problemlos teilnehmen können, indem sie sich einfach in einen Rollstuhl setzen, haben es Tetraplegiker hingegen schwer. Beim Rollstuhlbasketball muss man seinen Rollstuhl souverän und schnell fahren können und auch eine gute Ballbeherrschung haben. Nur wer sicher fangen und gezielt werfen kann, hat eine Chance auf einem höheren Niveau mitzuspielen. Das sind alles Fähigkeiten, bei denen Menschen mit eingeschränkter Arm- und Handfunktion nicht mithalten können.
Aus diesem Grund wurde Ende der 1970er Jahre in Kanada ein Sport speziell für Tetraplegiker und Menschen mit ähnlichen Behinderungen entwickelt. Sein ursprünglicher Name war Murderball, also Mörderball. Auch wenn das sehr martialisch klingt, versteht man schnell, wie es zu dieser Namensgebung kam, wenn man mal einem Spiel live zugesehen hat. Die heutzutage speziell angefertigten und ausgestatteten Rollstühle ähneln Kampfmaschinen, und im Spiel geht es heftig zur Sache. Krachende Crashs, Stürze und eingeklemmte Finger gehören dazu – nichts für Zartbesaitete also, weder als Spieler noch als Zuschauer. Inzwischen wurde der Sport in Rollstuhlrugby umbenannt, was nicht nur etwas zurückhaltender klingt, sondern es auch inhaltlich besser trifft.
Vom Alltagsrollstuhl zur Spezialanfertigung
Nach Deutschland kam Rollstuhlrugby Anfang der 1990er Jahre. Damals hatte Dr. Horst Strohkendl, ein Pionier des Rollstuhlsports und Lehrwart des DRS, ein englisches Team nach Deutschland eingeladen, um Rollstuhlrugby vorzustellen. Im Berufsbildungswerk Heidelberg rief der neue Sport große Begeisterung hervor und rund um den Paralympicssieger im Handbike-Marathon Heinrich Köberle bildete sich die erste deutsche Mannschaft, der unter anderem auch der heute bekannte Motivationstrainer Boris Grundl und Udo Späker, heutiger Marketingleiter der Mobilitätsmanufaktur Kadomo, angehörten. „Damals haben wir allerdings noch mit unseren Alltagsrollstühlen gespielt“, erinnert sich Udo Späker. Immerhin errang das Team damit als erste deutsche Mannschaft überhaupt einen Turniersieg, und zwar in der Schweiz.
Inzwischen wird Rollstuhlrugby in Deutschland von knapp 400 Menschen gespielt. Die Mannschaften verteilen sich dabei auf vier Leistungsklassen: die Champions League auf internationaler Ebene, die 1. und 2. Bundesliga (Nord und Süd) in Deutschland sowie die Regionalliga, die in Nord-Ost, Süd und West aufgeteilt ist. Hinzu kommt das jährlich stattfindende Bernd-Best-Turnier (s. Kasten). Der DRS hat eine eigene Internetseite für Rollstuhlrugby eingerichtet, auf der alle Infos zum Sport, zum Ligabetrieb und den Ansprechpartnern zu finden sind: www.gerwr.de.
Punktesystem soll Gerechtigkeit schaffen
Wer Rollstuhlrugby bei offiziellen Wettbewerben spielen möchte, muss Einschränkungen an mindestens drei Gliedmaßen haben. Das sind vor allem Tetraplegiker, Menschen mit anderen Lähmungen, Amputationen und Spastiken. Um unterschiedliche Behinderungen auszugleichen, werden alle Spieler auf einer Punkteskala von 0,5 bis 3,5 klassifiziert. Je höher die Punktzahl ist, desto geringer ist der Behinderungsgrad. Da alle Spieler eines Teams nach internationalen Regeln zusammen nicht mehr als acht Punkte haben dürfen, ist die individuelle Punktzahl von großer Bedeutung für die Zusammenstellung einer Mannschaft.
Bei vier Spielern je Team ist es also ausgeschlossen, dass nur Highpointer zusammenspielen. Um schwerer behinderten Menschen noch bessere Chancen zu geben, dürfen Mannschaften bei nationalen Wettbewerben sogar zusammen nur auf sieben Punkte kommen. Dennoch kommt es immer wieder vor, dass Lowpointer in vielen Mannschaften eher eine Statistenrolle spielen. Deshalb gab und gibt es immer wieder Überlegungen, für sie eine eigene Spielklasse oder Liga zu gründen.
Hart, aber fair
Die Nähe zum Rollstuhlbasketball zeigt sich auch daran, dass Rollstuhlrugby auf demselben Feld in einer Halle gespielt wird. Dort, wo beim Basketball die Körbe stehen, befindet sich beim Rugby die acht Meter breite Torlinie. Ziel des Spiels ist es, mit dem Ball über die gegnerische Torlinie zu fahren. Die Spieldauer beträgt vier mal acht Minuten plus Auszeiten. Der Ball darf gepasst, geworfen, gedribbelt und auf dem Schoß transportiert werden. Die Mannschaft, die am Ende die meisten Tore erzielt hat, gewinnt. Endergebnisse mit mehr als 40 Toren auf beiden Seiten sind keine Seltenheit. Obwohl Rollstuhlrugby ein harter Sport ist, kommt es selten zu ernsthaften Verletzungen.
Bernd Best-Turnier
Jedes Jahr trifft sich seit 1999 am Wochenende vor Ostern die Rollstuhl-Rugbyszene in Köln zum Bernd Best-Turnier, dem größten Turnier dieser Art weltweit. Bis zu 50 Teams aus ganz Europa und sogar aus Nordamerika tragen in drei Hallen ihre Wettbewerbe in vier Ligen aus: „Basic League“ (Niveau Amateurliga), „Advanced League“ (Niveau 2. Bundesliga), „Professional League“ (Niveau 1. Bundesliga) und „Champions League“. Ausrichter ist der Rollstuhl-Club Köln e.V., die Schirmherrschaft hat Sir Philip Craven, Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees IPC, übernommen. Außer dem Finale der Basic League werden alle anderen Finals live im Internet übertragen. Udo Späker, einer der ersten Rollstuhlrugby-Spieler in Deutschland überhaupt, ist zwar nicht mehr selbst aktiv, dem Sport aber immer noch als Sponsor und Fan verbunden, empfiehlt allerdings einen persönlichen Besuch des Turniers: „Die ganze Rasanz des Spiels und die gigantische Stimmung kann man nur live erleben“.
www.bernd-best-turnier.de