MOBITIPP: Mario, Du hast dem Modelbusiness im Frühjahr 2022 den Rücken gekehrt. Was war der Auslöser?
Mario Galla: Das war keine spontane Entscheidung. Beruflich lief es super, aber mein Leben bestand nur noch aus Terminen, Einladungen, Castings und Jobs. Irgendwann fühlte ich mich nur noch abgeschlagen. Trotz körperlicher Warnsignale habe ich weiterhin funktioniert. Mit dem Tinnitus lebe ich heute noch. In der Coronazeit konnte ich mal durchatmen, machte keine Castings mehr und nahm nur ausgewählte Aufträge an. Das half schon mal. Gleichzeitig war ich viel in der Natur und spürte, wie viel Kraft sie mir gibt und wie ich wieder zu mir finde. Der Rückzug war dann der nächste logische Schritt.
MOBITIPP: Du warst das erste High-Fashion-Model mit einer Prothese. Hat sich dadurch Dein Blick auf Deine Behinderung verändert?
Mario Galla: Ich bin mit einer Unterschenkelaplasie am rechten Bein geboren und habe mit drei Jahren meine erste Prothese bekommen. Meine Eltern haben mich immer ermutigt, alles zu machen, was ich wollte. Dadurch war ich mit einem gesunden Selbstvertrauen ausgestattet.
Als ich als 22-Jähriger ins Modelbusiness einstieg, wurde mir bewusst, dass ich für andere „anders“ war – oder zumindest so gesehen wurde. Am Anfang habe ich das stark gespürt. Das war ein Dämpfer. Doch mit dem Erfolg wuchs auch mein Selbstbewusstsein. Wenn man sich selbst plötzlich riesengroß auf Plakaten am Hauptbahnhof sieht, verändert das etwas. Ich wollte immer mehr: mehr Jobs, mehr Cover, größere Kampagnen. Und irgendwann wurde das, was sich anfangs so besonders anfühlte, zur Normalität.
Dann kam der Moment, in dem ich alles hinterfragte. Der Traum fühlte sich nicht mehr ganz so traumhaft an. Ich habe vieles neu bewertet – und schließlich meinen eigenen Weg gefunden. Heute hat sich alles gut eingependelt. In der Natur habe ich eine innere Unabhängigkeit wiederentdeckt, die mir guttut.
MOBITIPP: Modebranche und Diversität – wie ehrlich wird das Thema Inklusion gelebt?
Mario Galla: Ich habe die ganze Entwicklung miterlebt: Zuerst war Diversität überhaupt nicht gewünscht. Dann ging es darum, ständig neue Typen von Minderheiten zu finden – mit Behinderung, mit Tattoo, Transgender. Ich habe von der Zeit extrem profitiert. Aber ich glaube, ein wirklich ehrliches Bemühen um Inklusion gab es nie. Am Anfang war noch ein gewisses Interesse an der Person da. Das änderte sich bald. Diversität wurde zum Schlagwort im Marketing. Es geht um Aufmerksamkeit, Reichweite und ein cooles Image. Vermutlich ist das heute noch so. Aber vielleicht hat Diversität für die junge Generation eine andere Bedeutung. Das kann ich nicht mehr wirklich beurteilen.
MOBITIPP: Du warst Botschafter für Handicap International. Bist Du da noch engagiert?
Mario Galla: Ich bin derzeit nicht aktiv mit Handicap International in Kontakt, aber ich fühle mich noch mit den Anliegen verbunden. In manchen Regionen der Welt kann eine Körperbehinderung ohne Prothesenversorgung lebensbedrohlich sein. Zum Beispiel, wenn ein Mensch deshalb keine Lebensmittel mehr anbauen oder ernten kann. Da hilft es, die Not dieser Menschen ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen. Das habe ich gern gemacht.
MOBITIPP: Dein neues Metier ist die Produktion von Outdoor-Content. Unter dem Namen Hikesome produzierst Videos, Fotos und Texte von Deinen Wanderungen und Gipfelerlebnissen. Wie bist Du dazu gekommen?
Mario Galla: Inspiriert haben mich Wandervideos von Hikern auf YouTube. In der stressigsten Zeit meines Lebens haben sie mich sehr entspannt. Da ich schon immer viel gewandert bin, wollte ich das mal selbst ausprobieren. Eher als Hobby, aber momentan wächst ohne besonderes Zutun von mir mehr daraus. Mal sehen, was daraus wird.
MOBITIPP: Immerhin hast du ja einen beruflichen Hintergrund als Medienwissenschaftler und Social Media Manager im ZEIT-Verlag.
Mario Galla: Ja, das stimmt. Aber ich nehme mir gerade eine kleine Auszeit von allen beruflichen Verpflichtungen. Wir sind kürzlich von Hamburg in die Lüneburger Heide gezogen. Für unseren kleinen Sohn habe ich mir Elternzeit genommen. Wir leben hier ganz entspannt und sind mit unserem Hund Enzo viel draußen. Ein idealer Ort, um Zukunftspläne zu schmieden. Im Moment ist aber noch nichts spruchreif.
MOBITIPP: Was genau reizt Dich an den Outdoor-Aktivitäten?
Mario Galla: Für mich ist die Natur immer ehrlich. Ich suche oft auch nach einer Herausforderung, aber manchmal reicht es schon, einfach mal den Moment zu genießen. Mal zehn Minuten irgendwo zu sitzen und die Umgebung wirken zu lassen. Das ist in dieser hektischen Welt schon Challenge genug. Die Natur zeigt dir, wer du wirklich bist. Ob du eine Gipfelbesteigung schaffst oder nicht – sie schenkt wunderschöne, aber auch harte Momente.
Deshalb dokumentiere ich meine Wanderungen. Die Erinnerungen bleiben auf diese Weise erhalten und ich kann zum Beispiel die Videos meinem Sohn zeigen – obwohl er sonst kein Fernsehen schaut.
MOBITIPP: Wie kommst Du mit deiner Prothese beim Wandern zurecht?
Mario Galla: Ich habe zwei Prothesen: Eine Schwimmprothese und eine ultraleichte mit Titanfuß, die weniger als ein Kilogramm wiegt. Beide verschleißen durch die hohe Beanspruchung schnell, aber in Hamburg habe ich eine gute Versorgung. Natürlich kämpfe ich auch ab und zu mit Druckstellen, was nicht nur beim Wandern, sondern auch im Alltag im Sommer vorkommen kann.
MOBITIPP: Warum unternimmst Du auch alleine Hiking-Touren? Ist das nicht ein zu hohes Risiko?
Mario Galla: Ich bin oft mit meiner Familie unterwegs, aber manche Touren unternehme ich alleine. Obwohl mir inzwischen klar ist, wie schnell ich mit der Prothese in Gefahr geraten kann. In der Toscana ist mir mal der Prothesenfuss gebrochen und ich musste auf allen Vieren den Berg herunterrutschen. Seitdem habe ich ein Notfall-Kit dabei. Aber auch solche Situationen bringen mich weiter, weil ich selbst eine Lösung finden muss. Das stärkt das echte Selbstvertrauen.
MOBITIPP: Germany’s Next Topmodel feiert 20 Jahre – inzwischen sind auch Männer dabei. Was würdest Du sagen, wenn Heidi Klum Dich für die nächste Staffel als Juror anfragt?
Mario Galla: Ich kann mir zwar schwer vorstellen, dass meine heutige Lebenswelt zu Heidi Klums Format passt. Aber natürlich bin ich immer offen für Gespräche und neue Erfahrungen.
Mehr über Mario Galla findet Ihr hier:
Webseite: www.mariogalla.com
YouTube: https://www.youtube.com/results?search_query=Galla+hikesome
Instagram: https://www.instagram.com/hikesome/?hl=de