MOBITIPP: Herr Jouaneix, Sie haben sich bei der Bundespolizei und bei der Landespolizei Nordrhein-Westfalen um die Polizeiausbildung beziehungsweise für die entsprechenden Laufbahnen beworben. Warum wollen Sie beruflich noch mal neu durchstarten und warum ausgerechnet in einem Beruf, bei dem es ja gerade im Streifendienst sehr robust zugehen kann? Immerhin tragen Sie zwei Unterschenkelprothesen.
Philipp Jouaneix: Mich reizt einfach das breite Spektrum an Aufgaben bei der Polizei, wobei Landes- und Bundespolizei unterschiedliche Aufgabengebiete haben. Ich arbeite auch gerne im Staatsdienst oder – wie jetzt bereits – im Öffentlichen Dienst. Bei meiner derzeitigen Tätigkeit habe ich zwar auch Kontakt mit Menschen und nehme immer wieder mal Außentermine wahr. Das macht Spaß, erfüllt mich aber nicht mehr wirklich.
Bei der Polizei sehe ich sehr interessante Aufgaben, die mich auf eine ganz andere Weise fordern. Ich möchte direkt mit den Bürgerinnen und Bürgern zu tun haben und nicht nur durch Akten oder am Telefon. Auch die Vorstellung, dass praktisch jeder Tag anders verlaufen wird, gefällt mir sehr.
MOBITIPP: Der Gedanke, dass Sie einen sicheren Job aufgeben müssen und noch einmal eine mehrjährige Ausbildung vor sich hätten, erschreckt Sie nicht?
Philipp Jouaneix: Ich weiß, dass ich meinem Berufsleben jetzt ganz entspannt entgegensehen könnte. Ich habe einen unbefristeten Job, verdiene gut und könnte zufrieden sein. Aber ich suche neue Herausforderungen ganz anderer Art. Dafür gehe ich gerne einen steinigeren Weg.
MOBITIPP: Was genau machen Sie jetzt beruflich?
Philipp Jouaneix: Ich habe nach der Mittleren Reife eine zweigleisige Ausbildung begonnen: eine für den öffentlichen Dienst und parallel eine kaufmännische mit Abschluss vor der IHK. Das wurde damals so empfohlen, für den Fall, dass eine Übernahme im öffentlichen Dienst nicht möglich sei. Die Ausbildungen habe ich 2009 abgeschlossen. Danach habe ich Stationen im Ordnungsamt, in der Polizeiverwaltung und zuletzt beim Zensus, der Bevölkerungszählung durchlaufen. Jetzt geht es wieder zurück zur Polizei als Sachbearbeiter im Innendienst. Indirekt habe also bereits einen guten Einblick in die Polizeiarbeit erhalten und kann ziemlich gut ermessen, was mich erwarten würde.
MOBITIPP: Wie ist denn jetzt, Mitte Januar 2023, der Stand der Bewerbung? Sie wurden ja zum engeren Auswahlverfahren zugelassen, für das Sie bereits unter anderem drei Sporttests absolvieren mussten.
Philipp Jouaneix: Zwei dieser Tests habe ich bestanden. Das waren ein Koordinationslauf und ein Pendellauf. Beim Ausdauerlauf, bei dem man innerhalb von zwölf Minuten 2.400 Meter laufen musste, fehlten mir am Ende ein paar Meter. Das ist ärgerlich, aber ich war kein Einzelfall. Ich gehe aber nach Lage der Dinge davon aus, dass sich alles in eine gute Richtung weiterentwickeln wird.
MOBITIPP: Wussten die Prüfer, dass Sie Beinprothesenträger sind?
Philipp Jouaneix: Ich habe von Anfang an mit offenen Karten gespielt, aber speziell diese Prüfer waren nach eigenen Aussagen nicht darüber informiert. Wenn ich lange Hosen trage, ist auch nichts von den Prothesen zu sehen. Aber es ist ganz in meinem Sinne, unvoreingenommen beurteilt zu werden. Ich habe eine Schwerbehinderung, aber mithilfe moderner Hilfsmittel lebe ich völlig selbstständig. Ich verdiene meinen Lebensunterhalt, fahre Auto, mache Sport, – mir fällt nichts ein, was ich nicht wie ein Mensch mit vollständigen Gliedmaßen tun könnte. Notfalls gebe ich halt mal für eine Sache 120 oder 130 Prozent. Jedenfalls fühle ich mich nicht behindert.
MOBITIPP: Was macht Sie so sicher, dass Sie beim Ausdauerlauf das nächste Mal mithalten können?
Philipp Jouaneix: Ich habe inzwischen eine komplett neue Prothesenversorgung. Sie ist jetzt dynamischer, leichter und fortschrittlicher. Die vorherigen Prothesen waren ganz normale Alltagsfüße, die nicht für den Sport ausgelegt sind. Ich habe aber mit diesem System schon immer Sport gemacht, sogar Leistungssport. Es erforderte einen sehr viel höheren Kraftaufwand, um das abzurufen, was man schaffen will. Die neuen Prothesen werden meine Chancen sicher verbessern.
MOBITIPP: Zudem ist Sport doch auch Ihre Domäne! Beim Taekwon-Do, einem beinbetonten Kampfsport, waren Sie 10 x Deutscher Meister, 6 x Europameister, 4 x Weltmeister und haben zwei internationale Titel aus Verbandsveranstaltungen geholt, die als Äquivalent zu den Paralympischen Spielen gedacht waren.
Philipp Jouaneix: Ja, Sport gehört schon immer zu meinem Leben. Auch meinen Schwarzen Gurt habe ich übrigens mit meinen bisherigen Prothesen geholt. Anfangs wurde ich belächelt, habe mich aber durchgesetzt. Heute bin ich sportlich vielseitiger unterwegs. Und jetzt hatte ich einen Anlass, Vertrautes aufzugeben und mich mit moderneren Prothesen auszustatten.
MOBITIPP: Hatten Sie sich im Vorfeld der Bewerbungen bei Kolleginnen und Kollegen in Vollzugsdienst informiert, ob der Polizeiberuf für Sie überhaupt machbar wäre?
Philipp Jouaneix: Ich habe ja schon durch meinen Dienst in der Polizeiverwaltung Berührungspunkte mit dem Polizeialltag im Vollzugsdienst. Aber ich habe mich auch darüber hinaus sehr bewusst mit dem Beruf auseinandergesetzt und nachgeforscht. Dabei bin ich auf einen Kollegen aus Baden-Württemberg gestoßen, der nach einem schweren Motorradunfall eine Beinamputation hatte und dann seinen Dienst wieder mit einer Prothese aufgenommen hat. Damit ist sein Fall etwas anders gelagert, wirft aber im Kern die gleiche Frage auf: Geht das mit Prothesen?
Mit ihm habe ich Kontakt aufgenommen. Nach dem Gespräch habe ich mich entschieden, es zu versuchen und habe tatsächlich eine Einladung bekommen.
MOBITIPP: Sind Sie auch auf Widerstände gestoßen?
Philipp Jouaneix: Zumindest habe ich erstaunliche Erfahrungen gemacht. Dass meine allgemeine Anfrage nach dem Einstieg und den Perspektiven bei verschiedenen Landespolizeien im Vorfeld auf Überraschung stößt, – damit hatte ich gerechnet. Aber dass die bundesweit geltende Polizeidienstvorschrift zur Feststellung der physischen und psychischen Polizeidiensttauglichkeit in den einzelnen Ländern so unterschiedlich ausgelegt wird, habe ich nicht erwartet.
In einem großen Bundesland sagte man mir, dass man sich mit dem obersten Polizeiarzt besprechen müsse. Nach wenigen Stunden kam die telefonische Absage: Nein, das geht nicht. Unmöglich. Auch anderswo stand gleich fest: Nicht bei uns. In Nordrhein-Westfalen dagegen sagte man mir, man werde meine Bewerbung wie jeden anderen Fall prüfen und behandeln. Da bin ich nun und freue mich auf die inzwischen zugesagte Einladung zum schriftlichen Test in den nächsten Wochen.
Mir ist schon klar, dass mein Fall einen Präzedenzfall schaffen würde, wenn ich alle Tests und Einstellungsgespräche bestehen sollte und für polizeidiensttauglich erklärt werde. Aber dann erfülle ich doch die erforderlichen Voraussetzungen und muss mich dann wie jeder andere in der Ausbildung weiter qualifizieren und beweisen. Das ist die Inklusion, von der alle reden.
MOBITIPP: Herr Jouaneix, vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für Ihr Vorhaben.