MOBITIPP: Herr Deibert, warum sind Sie denn ausgerechnet Lehrer geworden? Ein Beruf, in dem man nach landläufiger Meinung besser keine Schwächen zeigt.
Reimar Deibert: Meine Berufswahl war eine recht unspektakuläre Entscheidung. Deutsch und Englisch waren meine Leistungskurse. Nach dem Abitur bin ich einfach meinen Interessen gefolgt. Ich habe drauf vertraut, dass sich alles fügen wird.
MOBITIPP: Und war es so?
Reimar Deibert: Im Grunde ja. Nach dem Studium in meiner Heimatstadt Osnabrück habe ich mein Referendariat in Berlin gemacht, um mich persönlich ein bisschen freizuschwimmen und zu sehen, inwieweit ich gut alleine klarkomme. Meine Bewerbung in Hamburg wurde abgelehnt, weil ich nicht an die Tafel schreiben kann. Berlin war da entgegenkommender.
Nach acht Jahren in Lohne unterrichte ich heute in Osnabrück an einem Gymnasium, das inklusive eines Aufzugs ausreichend barrierefrei ist. Zum Haupteingang führt eine Rampe. Die Eingangstür öffnet sich automatisch. Auch im Lehrerzimmer haben wir inzwischen eine Automatiktür. Weil meine Hände gelähmt sind, nutze ich statt der Kreidetafel einen Laptop und einen Beamer. Ein Lehrer, der sich mit dem Computer auskennt, war anfangs eher ungewöhnlich. Heute ist das natürlich anders.
MOBITIPP: Wie reagiert denn Ihr schulisches Umfeld üblicherweise auf Sie – Kollegen, Schüler, Eltern?
Reimar Deibert: Ich kann nur von positiven Erfahrungen berichten. Ich habe auch noch eine Kollegin im Rollstuhl, bin also keine Ausnahme. Es gibt immer wieder mal Fragen, aber immer respektvoll. Vor einer neuen Klasse sage ich ein paar Sätze zu meinem Unfall und erkläre, dass ich ab und an Hilfe brauche. Ich kann und will nicht so tun, als ob es den Rollstuhl nicht gäbe.
Einmal leitete ich ein „Rollstuhlfahrerprojekt“ während einer Projektwoche in Lohne: Einige Schüler fragten bei mir an, wie mein Alltag abläuft. Da habe ich zum Beispiel mein umgebautes Auto und mein Handbike vorgestellt. Solche Aufklärungsarbeit finde ich auch wichtig: zu vermitteln, wie sich ein Leben mit Einschränkungen organisieren lässt und dass es im Leben von Menschen mit Behinderung um die gleichen Themen wie bei anderen geht: Familie, Freunde, Beruf, Freizeit.
MOBITIPP: Was gibt Ihnen die Kraft für Ihr Leben, das Sie ja auch ohne Mobilitätseinschränkung kennen?
Reimar Deibert: Ich weiß, dass ich viel Glück hatte, dass mein Leben nach dem Unfall relativ gut weitergegangen ist. Ich habe eine Familie, Freunde und auch Therapeuten, die zu mir stehen und mir helfen. Ich glaube nicht, dass es ohne sie gegangen wäre.
Man darf sich natürlich auch nie aufgeben. Denn das Leben ist in einer fundamentalen Weise ungerecht: Niemand wird dir garantieren können, Erfolg dabei zu haben, glücklich zu werden, zu genesen, selbst wenn du dein Bestes gibst. Nur eins steht fest: Du wirst unglücklich sein und bleiben, wenn du aufgibst. Nur Misserfolg ist leicht. Aber das gilt für jeden Menschen.
Außerdem bin ich der Überzeugung, dass man auch dann, wenn man auf Hilfe angewiesen ist, die Entscheidungen über sein eigenes Leben selber trifft. Ich jedenfalls habe mein Leben in meiner eigenen Hand – auch wenn sie gelähmt ist.