Sascha Hohendorn: „Nimm Dein Leben selbst in die Hand!”

Der Diplom-Ingenieur ermuntert Menschen mit Handicap, nicht unbedingt den nahe liegenden Lebensweg einzuschlagen.

Als 25-jähriger Student kam Sascha Hohendorn durch einen Unfall in den Rollstuhl. Er beschloss, seine ursprünglichen Ziele weiter zu verfolgen. Das ist gut 22 Jahre her. Heute arbeitet der gebürtige Duderstädter als Projektingenieur bei einem großen Unternehmen aus der Hilfsmittelbranche. Im Gespräch mit MOBITIPP erklärt er, warum seine Entscheidung, die Verantwortung für sein Leben selbst zu übernehmen, goldrichtig war.
© Sascha Hohendorn
Mut zur Unabhängigkeit
Sascha Hohendorn ist Diplomingenieur und arbeitet bei Ottobock in Thüringen. Nach seinem Unfall 1997 kämpfte er sich in ein unabhängiges Leben zurück.

MOBITIPP: Herr Hohendorn, seit einem Unfall 1997 leben Sie mit einer Querschnittlähmung. Welcher Art sind Ihre Einschränkungen?

Sascha Hohendorn: Bei einem Badeunfall im Urlaub in Tunesien habe ich mir den 6. und 7. Halswirbel gebrochen. Seitdem sitze ich im Rollstuhl. Ich habe keine Fingerfunktion und keine Feinmotorik mehr. Mir fehlt die Trizepsfunktion in den Armen, nur der Bizeps ist aktiv. Ich bin also ein klassischer Tetraplegiker.

MOBITIPP: Trotzdem haben Sie Ihr Maschinenbau-Studium an der Fachhochschule Hannover beendet!

Sascha Hohendorn: Da ich nur noch zwei Semester vor mir hatte, war mir schnell klar, dass ich das Studium abschließen werde. Bei der Reha in der BG Unfallklinik in Duisburg habe ich bei anderen gesehen, was im Rollstuhl alles möglich ist.

Die Sozialabteilung der BGU hat mir damals empfohlen, mein Studium in einem Berufsförderungswerk zu beenden. Doch was bringt einem hundertprozentige Barrierefreiheit in solch einer rosaroten Welt? Ich habe mich bewusst auf die Unwägsamkeit des Lebens eingelassen und war bereit, mich durchzukämpfen.

MOBITIPP: Wer hat Ihnen dann im Alltag geholfen?

Sascha Hohendorn: In Hannover habe ich in einem Studentenwohnheim gewohnt und mir dort eine Wohneinheit mit einem Kommilitonen geteilt, der Fußgänger war. Zur Not hatte ich also Hilfe. Anfangs haben mich noch Zivildienstleistende unterstützt. Ansonsten war ich auf mich gestellt und habe mir vieles erkämpft und erarbeitet. All die Mühe hat sich in meinem späteren Leben ausgezahlt.

MOBITIPP: Wie ging es nach dem Studium weiter?

Sascha Hohendorn: Für meine Diplom-Arbeit habe ich mich bei Ottobock in Duderstadt beworben. Thema meiner Arbeit war es, eine Federung für einen manuellen Rollstuhl zu konstruieren. Danach bin ich mit meiner Frau, die ich zum Ende des Studiums kennengelernt habe, nach Sinsheim bei Heidelberg gezogen, um für die Ottobock Human Mobility Elektrorollstühle zu entwickeln. Das war 1999.

MOBITIPP: Heidelberg ist ja ein Mekka für Rollstuhlfahrer.

© Sascha Hohendorn

Sascha Hohendorn: Absolut, ich hatte in Hannover Rollstuhlrugby für mich entdeckt. Da passte das sehr gut mit Heidelberg. Sport und der Leistungsgedanke waren als Fußgänger mein Leben. Seit ich 13 Jahre alt war, habe ich Bogenschießen als Leistungssport betrieben, wo ich zeitweise sogar dem Nationalkader angehörte.

MOBITIPP: Was haben Sie aus dem Sport für Ihr Leben mitgenommen?

Sascha Hohendorn: Als Fußgänger habe ich beim Sport konsequentes Leistungsdenken kennengelernt und wie man sich neu motiviert, wenn es mal nicht so gut läuft, als Neuling im Rollstuhl und im Rugbyteam habe ich viel von den erfahrenen Rollstuhlfahrern abschauen können: Wie setze ich mich um? Wie beantragt man Hilfsmittel? So alltägliche Sachen eben.

Als wir an einem Turnier in Stockholm teilnahmen, bin ich erstmals als Rollstuhlfahrer geflogen und habe von meinen Teamkameraden einiges über das Reisen im Rollstuhl gelernt.

MOBITIPP: Sie sind aber nicht sehr lange in Sinsheim geblieben.

Sascha Hohendorn: 2003 habe ich als Projektmanager in der Entwicklung bei Invacare Deutschland in Porta Westfalica begonnen. Dort konnte ich mich beruflich stark weiterentwickeln.

Mit Anfang 40 noch neugierig auf Neues, zog es uns 2015 weiter, jetzt nach Thüringen, wo ich bei Ottobock zuerst im Produktmanagement für Neuentwicklungen verantwortlich war, um dann zurück ins Projektmanagement zu wechseln, wo ich aktuell zusätzlich an der Umstrukturierung des Standorts beteiligt bin.

MOBITIPP: Sie haben kürzlich den Blog www.finanzrolli.de gestartet. Welches Anliegen ist damit verbunden?

Sascha Hohendorn: Ich möchte meine Erfahrungen weitergeben und bin dabei, die Seite aufzubauen. Das Thema „Finanzielle Bildung“ wird in unserer Gesellschaft sehr unterschätzt.

Zum Beispiel der Aufbau einer Altersversorgung. Das ist für die meisten Fußgänger schon eine Herausforderung, und für Rollstuhlfahrer noch viel wichtiger. Nicht jeder steht im Arbeitsleben und verfügt über ausreichende Mittel fürs eigene Leben.

Aktuell läuft sogar noch etwas mehr auf meinem Blog. Ich habe gesehen, dass für viele ganz andere Themen im Vordergrund stehen. Daher ist finanzrolli.de aktuell ein Ratgeber für Tipps zur Barrierefreiheit und Rollstuhltechnik.

MOBITIPP: Gibt es einen Ausweg?

Sascha Hohendorn: Ich bin jetzt über 20 Jahre Vollzeit in meinem Beruf. Wenn man keine außergewöhnlichen gesundheitlichen Belastungen hat, kann man das schaffen.

In dieser Zeit bin ich vielen Rollstuhlfahrern begegnet, die sagten: Ich kann nicht arbeiten und ich soll auch nicht. Ich denke aber, dass man den Bestrebungen der Umwelt, eine behütete, kontrollierte, abhängige Situation zu schaffen, etwas entgegensetzen sollte.

Fast jeder Mensch will ein „normales” Leben führen. Ich sehe mich da als Motivator, sich nicht in die Hartz-IV-Schiene pressen zu lassen, sondern die Unabhängigkeit zumindest ernsthaft auszuprobieren. Dieses Denken wird heutzutage leider als eher ungewöhnlich angesehen.

MOBITIPP: Es sind also nicht in erster Linie die Unternehmer, die Menschen mit Behinderung abwehren?

Sascha Hohendorn: Die Vorbehalte von Arbeitgebern gibt es. Diese kann man aber durch entsprechendes Wissen und Tun entkräften, sich gewissermaßen interessant und unentbehrlich machen. Diese Einstellung zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Als Maschinenbauer habe ich bewusst die Hilfsmittelindustrie ins Auge gefasst und dadurch aus einem scheinbaren Nachteil einen Vorteil gemacht.

Viele Rollstuhlfahrer beschäftigen sich viel mit Computer, Internet, etc. Wem das liegt und auf der Suche nach dem passenden Beruf ist, der sollte seinen Fokus darauf legen. Spezialisten wie Webdesigner, Programmierer werden gesucht, das Internet ist die Berufschance für Rollstuhlfahrer! Jeder kann sein Leben gestalten. Jammern hilft da nicht, man muss es selbst in die Hand nehmen!

Weitere Informationen finden Sie auf dem Blog von Sascha Hohendorn: www.finanzrolli.de

(Text: Volker Neumann)

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