Uwe Stegemann: „Zurückhaltend aktiv“ (II)

Zu Beginn der Pandemie haben wir mit dem Aktivisten für Behindertenrechte, der der Hochrisikogruppe angehört, über seinen Umgang mit Corona und seine Quarantäne gesprochen. Jetzt wollten wir wissen, wie es ihm heute geht und was er in den nächsten Wochen und Monaten erwartet.

Als klar war, dass sich das Coronavirus SARS-CoV-2 in Deutschland ausbreiten wird, hat sich Uwe Stegemann freiwillig in Quarantäne begeben. Für den hochgelähmten Vorsitzenden des Assistenzdienstes Sozialhummel e.V. ist schon ein Grippevirus lebensgefährlich. Anfang März sprach MOBITIPP mit Uwe Stegemann über seine strikten Schutzmaßnahmen. Jetzt haben wir nachgefragt, wie sich sein Leben gestaltet und wie er auf den zu erwartenden Anstieg der Infektionszahlen im Herbst und Winter reagieren will.
Uwe Stegemann, Mann mit Bart im Rollstuhl sitzend
(c) Uwe Stegemann
Corona: "Zurückhaltend aktiv"
Uwe Stegemann, Aktivist für Behindertenrechte und Gründer und Erster Vorstand von Sozialhummel e.V.

MOBITIPP: Herr Stegemann, sind Sie noch immer in Quarantäne?

Uwe Stegemann: Ich würde mein jetziges Verhalten als ,zurückhaltend aktiv‘ bezeichnen. Wann genau ich meine Quarantäne gelockert habe, kann ich gar nicht sagen. Vielleicht vor sechs bis acht Wochen. Es war ein schleichender Prozess.

Am Anfang der Pandemie war alles schwierig, weil die meisten Menschen keine Masken hatten und keine Abstandsregeln einhielten. Das ist aber im Laufe der Zeit deutlich besser geworden. Heute könnte ich mich noch in Einzelfällen aufregen, tue ich aber nicht.

MOBITIPP: Welchen Freiraum gestehen Sie sich zu?

Uwe Stegemann: Mein ganzes Handeln basiert auf einer ruhigen, sachlichen Risikoabschätzung. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich es nicht mehr die ganze Zeit allein im Haus oder im Garten aushalten kann. Außerdem wusste man etwas mehr über das Coronavirus und welche Schutzmaßnahmen sinnvoll sind. Da habe ich mir gute FFP2-Atemschutzmasken gekauft und mich mit den Grundregeln des Social Distancing stückchenweise ans normale Leben herangearbeitet.

An Massenverstaltungen nehme ich aber nach wie vor nicht teil. Auch Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln kommen nicht infrage. Dafür haben wir unseren großen Garten genossen. Dort haben wir uns anfangs mit Freunden zum Grillen getroffen. Weil es dabei aber schwer ist, konsequent auf Abstand zu bleiben, haben wir später meistens nur etwas zusammen getrunken.

MOBITIPP: Sie haben pflegebedürftige Eltern. Konnten Sie sie besuchen?

Uwe Stegemann: Beide Elternteile sind höchstgradige Risikopatienten. Wir haben uns mit Schutzmasken und mit großem Abstand bei ihnen im Garten getroffen. Das war schön, aber unter diesen Umständen auch nicht einfach zu ertragen.

MOBITIPP: Wie halten Sie es mit Ihrer Ernährung?

Uwe Stegemann: Ich achte nach wie vor sehr genau darauf, was ich esse. Das sind vorzugsweise Lebensmittel, die man stark erhitzen kann. Auf Salat verzichte ich weiterhin. Lange Zeit haben wir auch alle Lebensmittelverpackungen vor der Verwendung abgewaschen. Das machen wir seit zweieinhalb Monaten nicht mehr. Ich überlege allerdings, ob wir das wieder einführen, weil ich immer noch keine gesicherten Erkenntnisse über die Bedeutung der Schmierinfektionen habe.

MOBITIPP: Erledigt noch immer ein externer Dienstleister ihre Einkäufe?

Uwe Stegemann: Das Risiko, in den Supermarkt einkaufen zu gehen, ist mir nach wie vor zu hoch. Deshalb kauft den Großteil noch immer jemand ein, der nicht zum Team gehört.

MOBITIPP: Haben Sie es gewagt, in den Urlaub zu fahren?

Uwe Stegemann: Wir hatten für zwei Wochen ein einsam gelegenes Ferienhaus in Nordholland gemietet. Weil es in den niederländischen Supermärkten keine Maskenpflicht gibt, haben wir die Versorgung so organisiert, dass wir nur einmal die Woche einkaufen mussten. Schon das war Stress pur.

Den Einkauf hat ein Assistent übernommen, den ich sorgfältig ausgewählt habe. Er musste in voller Schutzmontur samt FFP3-Maske und Schutzbrille einkaufen und vor Ort alles, was er anfasste, desinfizieren. Mit solch einer extremen Situation, die in jedem Moment volle Konzentration erfordert, um lückenlose Hygienesicherheit zu gewährleisten, kann nicht jeder umgehen. Im Nachhinein bin ich auch nicht sicher, ob ich mich noch einmal solch einem Risiko aussetzen würde. Unsere geplante Urlaubswoche in Südholland, das aktuell zum Risikogebiet erklärt wurde, haben wir jedenfalls abgesagt.

MOBITIPP: Treffen Sie besondere Vorkehrungen für den Winter?

Uwe Stegemann: Ich mache mir sehr viele Gedanken. Der Garten fällt jetzt schon aus, denn der Pavillon, der Zuflucht vor dem Regen bot, wurde vom Sturm zerstört. Ich überlege, wie ich den Balkon umgestalten kann, sodass man im Winter mal draußen sitzen kann. Das wird aber nahezu unmöglich sein oder hohem Aufwand erfordern.

Man kann ja auch nicht dauernd das Fenster aufreißen. Ich stelle mich jedenfalls auf einen kontaktarmen Winter ein und werde meine sozialen Kontakte wieder verstärkt über Telefon und Videoplattformen pflegen.

MOBITIPP: Gibt es die Desinfektionsschleuse noch?

Uwe Stegemann: Wir haben die Hygienemaßnahmen im Haus unverändert beibehalten. Bevor ein Assistent abgelöst wird, gibt es eine komplette Desinfektionsrunde im Haus. Dazu haben wir einen Plan entwickelt, auf dem Raum für Raum detailliert steht, was alles desinfiziert oder mit Seife abgewaschen werden muss. Genauso ist das Assistenzzimmer noch eine kleine Schleuse, in der sich meine Mitarbeiter zum Beispiel umziehen.

MOBITIPP: Wie ist der von Ihnen gegründete und geführte Assistenzdienst Sozialhummel e.V. bisher durch die Corona-Pandemie gekommen?

Uwe Stegemann: Erfreulicherweise gut! Wir haben viele, teils grundlegende Anpassungen vorgenommen. Zunächst haben wir unsere Kunden in drei Gruppen eingeteilt – mit sehr hohem, mittleren und eher niedrig einzuschätzendem Risiko. Die jeweiligen Teams wurden dementsprechend mit Schutzmaterial ausgestattet und in Hygiene geschult.

In der ersten Zeit war das alles dramatisch, weil es keine Schutzausrüstung gab. Für eine FF2-Maske mussten wir zum Teil 50 Euro bezahlen. Jetzt sind die Preise deutlich gefallen. Sie liegen aber immer noch über dem „Normalpreis“. Über einen Kooperationspartner haben wir uns jetzt weit vorausschauend mit Schutzmaterial eingedeckt. Sonst ist das in einer Akutphase nicht finanzierbar.

MOBITIPP: Wie planen Sie das Personal?

Uwe Stegemann: Wir haben ganz schnell das bisherige Vertretungsprinzip im Urlaubs- und Krankheitsfall aufgehoben. Vor Corona ist jeder für jeden eingesprungen. Jetzt haben wir die Teams abgeschottet und stattdessen die Hochrisikoteams personell aufgestockt. Das funktioniert besser als gedacht. Aber wir müssen wachsam und flexibel bleiben, damit das auch in den kommenden Monaten klappt.

MOBITIPP: Sind Ihre Büromitarbeiter noch im Homeoffice?

Uwe Stegemann: Wir haben jetzt eine Kernmannschaft von zwei bis drei Mitarbeitern im Büro. Der Rest der Mannschaft wechselt zwischen Büro und Homeoffice. Zudem haben wir unsere EDV für die Arbeit im Homeoffice verfeinert und unsere Telekommunikationsanlage komplett erneuert und angepasst. Das war eine mehrmonatige Arbeit. Aber jetzt sind wir gut vorbereitet und hoffen natürlich trotzdem das Beste.

MOBITIPP: Wie blicken Sie in die nahe Zukunft?

Uwe Stegemann: In Deutschland können wir froh sein, dass bisher alles vergleichsweise gut gelaufen ist. Wir sind noch lange nicht über den Berg. Eine deutliche Entspannung kann meiner Meinung nach erst eintreten, wenn es einen Impfstoff gibt, der nachweislich wirkt und für die meisten Menschen gut verträglich ist. Ich schätze, dass bis dahin noch drei Jahre ins Land gehen werden. In diesem Zeitraum werden wir alle immer mehr über das Virus lernen und unsere Verhaltensweisen anpassen müssen. Einen anderen Weg sehe ich nicht.

MOBITIPP: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Stegemann.

(Text: Volker Neumann)

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