„Warten Sie, ich helfe Ihnen!“

Über den Umgang mit benötigter und unerwünschter Hilfe

Noch schnell ein paar Dinge auf dem Heimweg erledigen und dann ab in den wohlverdienten Feierabend. Was für andere keine große Sache ist, wird für Rollstuhlfahrer oft zum Hindernisparcours. Die Regale im Supermarkt zu hoch, Stufen vor der Bäckerei und dazwischen gutmeinende, aber übergriffige Passanten, die mit unerwünschtem Aktionismus alles noch komplizierter machen. Gar nicht so einfach, immer das richtige Maß an Hilfe zu erbitten, zu erhalten und annehmen zu können.
© Steffen Schüngel
Nicht jede Hilfe ist willkommen
Als Rollstuhlfahrer muss man manchmal um Hilfe bitten, sie mitunter aber auch ablehnen

Treppen, schwere Türen, Steigungen, zugestellte Wege – überall stoßen Rollstuhlfahrer auf Barrieren, die es ihnen erschweren, dorthin zu gelangen, wohin sie wollen und das zu tun, was sie beabsichtigen. Es ist anstrengend, hier immer wieder nach Lösungen zu suchen und oft nicht förderlich für das eigene Selbstbewusstsein, ständig um Hilfe bitten zu müssen.

Und dann sind da noch die anderen Situationen. Die, in denen es eigentlich gar kein Problem gibt, aber „hilfsbereite“ Mitmenschen vermeintliche Hürden ausmachen, die sie ungefragt und dafür umso eifriger beseitigen. Da kann die Unabhängigkeit schon einmal auf der Strecke bleiben und sich ein schales Gefühl von Fremdbestimmung einstellen. Doch wie umgehen, mit derart misslichen Vorkommnissen? Wir hätten da ein paar Ideen.

Übung macht den Meister

Machen Sie sich zu allererst bewusst, dass wir alle uns natürlich möglichst stark fühlen und jede noch so knifflige Aufgabe souverän meistern wollen. Doch egal, ob mit oder ohne Behinderung: Wir kommen im Leben immer wieder an Grenzen oder stehen vor Herausforderungen, die wir alleine nicht bewältigen können. Als Rollstuhlfahrer treten solche Situationen zweifellos gehäuft auf, ist doch die Umwelt in aller Regel auf Nichtbehinderte zugeschnitten. Doch souveränes Auftreten und das Annehmen von Unterstützung lassen sich durchaus vereinbaren.

Grundsätzlich gilt: Wer mit seinem Hilfsmittel gut umgehen und vorhandene Mobilitätseinschränkungen mit körperlicher Fitness zum Teil kompensieren kann, reduziert die notwendige Unterstützung durch Dritte automatisch. Hier lohnt sich – neben regelmäßiger sportlicher Betätigung – gerade für Neu-Rollstuhlfahrer ein Mobilitätstraining, wie es zum Beispiel vom Deutschen Rollstuhl-Sportverband (DRS) regelmäßig angeboten wird. Doch selbst ein ausgemachter Sportmuffel oder jemand, der nun einmal körperlich stark eingeschränkt ist, kann darauf vertrauen, dass mit zunehmender Rollstuhl-Erfahrung der geübte Umgang mit vielen Barrieren des Alltags ganz von allein kommt. Wichtig also: aktiv bleiben und den Herausforderungen nicht aus dem Weg gehen.

Möglichst konkrete Anweisungen geben

© Steffen Schüngel

Wird dann doch einmal eine helfende Hand benötigt, ist dies wahrlich kein Grund, sich klein und schwach zu fühlen. Denn man selbst hat großen Einfluss auf das Geschehen. Immerhin sind Sie derjenige, der aktiv auf eine Person Ihrer Wahl zugeht und um Unterstützung bittet. Halten Sie die Zügel in der Hand und geben Sie Schritt für Schritt konkrete Anleitung, wie der Angesprochene Ihnen am besten helfen kann. Dieses Vorgehen führt nicht nur am schnellsten zum Ziel und zum besten Ergebnis, sondern wird auch den Helfer freuen. Denn meist weiß ein zufällig vorbeikommender Passant ja gar nicht, welche Handgriffe nötig und sinnvoll sind, um Ihnen beispielsweise eine Stufe hinauf zu helfen. Für ein wenig Orientierung wird er also dankbar sein.

Entscheidend hierbei ist es natürlich, über das eigene Rollstuhlmodell möglichst gut Bescheid zu wissen, dessen Konstruktion und technische Besonderheiten genau zu kennen sowie die Perspektive eines Helfers einnehmen zu können. Ebenso ist es sinnvoll, sich die notwendige Unterstützung für wiederkehrende Situationen im Alltag bereits im Vorfeld zu vergegenwärtigen. So muss im Bedarfsfall nicht lange überlegt werden, wie sich die Instruktionen am besten vermitteln lassen.

Die innere Einstellung wirkt nach außen

Eine selbstbewusste, gerade Körperhaltung sowie eine feste Stimme, mit der man sein Anliegen deutlich artikuliert, zeigen nicht nur dem Gegenüber, dass er es mit einer souveränen Person zu tun hat, sondern geben einem auch selbst ein gutes Gefühl der Selbstbestimmtheit. Nun kann dies im Einzelfall behinderungsbedingt schwierig sein. Doch schon die innere Einstellung und das eigene Selbstbild beeinflussen ganz entscheidend die Ausstrahlung und tragen damit wesentlich dazu bei, wie wir von anderen wahrgenommen werden. Wer immerzu damit hadert, dass er um Hilfe bitten muss und sein Schicksal betrauert, wird nach außen eher schwach wirken und bei seinem Umfeld Mitleid hervorrufen.

Wer jedoch erkannt hat, dass letztlich jeder auf die Unterstützung anderer angewiesen ist – der eine eben mehr, der andere weniger –,  der hat schon viel gewonnen und kann dem nächsten defekten Aufzug gelassen und erhobenen Hauptes entgegen sehen. Fortgeschrittene schaffen es vielleicht sogar, notwendige Hilfe als erfreuliche Chance auf eine nette Begegnung zu interpretieren. Zugegeben, das ist nicht immer einfach und sicher nicht in jeder Situation zu realisieren. Doch an einer positiven Grundeinstellung sich selbst und dem Thema „Hilfestellung“ gegenüber zu arbeiten, wird sich auf vielen Ebenen auszahlen.

Freundlich, aber entschieden absagen

Wie aber geht man nun mit unerwünschter oder sogar aufgezwungener Hilfe um? Passanten, die einem trotz freundlichen Abwinkens entschlossen die Tür aufhalten, dabei selbst mit ausgestrecktem Arm im schmalen Türrahmen stehen und darauf warten, dass man dankbar hindurch rollt – natürlich ohne dem Türöffner dabei über die Füße zu fahren. Mitmenschen, die es nicht aushalten können, wenn es einmal etwas länger dauert, weil man mit sportlichem Ehrgeiz eine Steigung allein bewältigen möchte.

„Ich kann gar nicht mit ansehen, wie Sie sich abmühen“, heißt es dann oft, während die Hände schon nach den Schiebegriffen ausgestreckt werden. Doch machen Sie sich bewusst, dass das nicht Ihr Problem ist. Eine freundliche Absage verbunden mit einem anschaulichen Vergleich kann in einer solchen Situation schnell verdeutlichen, dass diese Hilfe eben nicht hilfreich ist: „Wenn ich Sie joggen sehe, sammele ich Sie doch auch nicht mit dem Auto ein, weil es so schneller geht.“

Die richtige Ausstattung schützt

Aber auch mit ganz praktischen Verhaltensweisen, die sich gut trainieren lassen, lässt sich ungewollte Hilfe abwehren. Drehen Sie sich zu der Person hin und rollen dabei mit einem beherzten Griff an die Greifreifen ein Stück nach hinten, während Sie das Angebot ablehnen. Sie wenden sich dem Helfer somit aktiv und selbstbestimmt zu und entziehen gleichzeitig die anvisierten Rollstuhlgriffe seinem Zugriff. Bleiben Sie dabei bestimmt, aber freundlich und sagen Sie laut und deutlich „Nein, danke!“, bevor Sie ihren Weg fortsetzen.

Auch mit einer entsprechenden Ausstattung des Hilfsmittels kann man sich bereits vor übergriffigem Verhalten schützen. Abklappbare, höhenverstellbare Griffe am Rollstuhl, eingestellt auf die niedrigste Stufe, erschweren einen ungewollten Zugriff wirkungsvoll. Und bei Bedarf lassen sich die Griffe mit zwei Handgriffen ausklappen und auf die individuell gewünschte, rückenschonende Höhe bringen.

Mit Witz und Wortgewandtheit wehren

Doch manchmal stößt auch ein noch so deutlich formuliertes „Nein“ auf die sprichwörtlich tauben Ohren. Eine empfehlenswerte Methode kann es dann sein, ein sinnvolles Alternativangebot zu unterbreiten, mit dem Sie den Tatandrang ihres Helfers auffangen: „Den Bordstein bewältige ich allein. Aber wenn Sie kurz meine Tasche halten, damit sie mir dabei nicht vom Schoß rutscht, helfen Sie mir am besten.“ Oder wenden Sie einen kleinen Trick an: „Den Hügel hinauf schaffe ich es ohne Hilfe. Aber könnten Sie mir bitte die Uhrzeit sagen?“ So ist der Helfer beschäftigt und von seinem übergriffigen Vorhaben abgelenkt. Er fühlt sich jedoch trotzdem gut dabei, da er nicht abgewiesen wurde, sondern seine geplante gute Tat tun konnte. Und Sie bekommen die Unterstützung, die Sie wirklich benötigen.
Humor ist ebenfalls oft ein wirkungsvolles Stilmittel, um unangenehme Situationen zu entschärfen und grenzüberschreitendes Verhalten souverän zu unterbinden. Versuchen Sie es doch beim nächsten Mal mit hoffnungsloser Übertreibung und einem Augenzwinkern: „Oh, vielen Dank, dass Sie mich schieben wollen. Ich bin gerade auf dem Weg zum Supermarkt. Wenn Sie mich noch kurz begleiten und mir anschließend die Tüten mit dem Wocheneinkauf nach Hause tragen? Das wäre nett.“

Oder wie wäre es, wenn Sie das obligatorische „Warten Sie! Ich helfe Ihnen!“ einfach einmal wörtlich nehmen und damit in seiner ganzen Absurdität entlarven? „Tut mir leid, ich hab’s eilig“, wäre hier eine passende Replik. Das funktioniert natürlich besonders gut, wenn man dann auch tatsächlich schneller durch die Tür ist, als der Möchtegern-Helfer angelaufen kommt. Arbeitet man sich dagegen gerade Stück für Stück eine Steigung hoch, ist die Antwort dennoch witzig und Sie wirken automatisch selbstbewusst.

Perspektive des Helfers einbeziehen

Bei aller Abwehrtaktik lohnt sich aber auch bei unerwünschter Hilfe immer ein Wechsel der Perspektive. Versetzen Sie sich in den Helfer hinein. Worum geht es ihm wirklich? Sicher spielen hier auch gelegentlich Profilierung und die eigene Aufwertung durch gönnerhaftes Verhalten vermeintlich Schwächeren gegenüber eine Rolle. Doch im Zweifel möchte er Ihnen schlicht eine scheinbar unangenehme Lage erleichtern und stellt sich dabei vielleicht ziemlich ungeschickt an.

Nun bedeutet „gut gemeint“ eben manchmal einfach „nicht gut gemacht“ und das darf und sollte man dann auch sagen. Hier muss niemand aus falsch verstandener Dankbarkeit alles über sich ergehen lassen. Doch ein wenig Nachsicht bei unbeholfener oder unpassender Hilfe ist sicherlich für alle Beteiligten nicht verkehrt. Der Helfer erhält keinen Korb und Sie sparen sich den Ärger. Es geht einem selbst in vergleichbaren Situationen mit umgekehrter Rollenverteilung doch auch gelegentlich so.

Oder sind Sie sich stets vollkommen sicher, wie Sie beispielsweise einer sehbehinderten Frau oder einem lernbehinderten Mann am besten begegnen? Welche Geste wird wirklich als hilfreich, welche eventuell als unpassend oder sogar anmaßend empfunden? Welche Wortwahl wirkt verletzend oder herabwürdigend? Gar nicht so einfach, da immer die perfekte Reaktion aus dem Effeff zu präsentieren. Mit diesen Überlegungen im Hinterkopf kann aus einer unpassenden oder übermotivierten Gut-Gemeint-Aktion eine fruchtbare Alltagsbegegnung werden, bei der man miteinander darüber ins Gespräch kommt, wie ein wertschätzender Umgang mit behinderten Menschen gestaltet sein sollte und warum manch gut gemeinte Hilfe verletzend sein kann.

 
Unsere MOBITIPPs:
Benötigte Hilfe annehmen:

  • Ein Mobilitätstraining reduziert den Hilfebedarf
  • Positive innere Einstellung und wertschätzendes Selbstbild
  • Selbstbewusste Körperhaltung und feste Stimme, soweit möglich
  • Selbstbestimmtes Auftreten:
    • Helfer anleiten
    • klare Handlungsanweisungen geben

Unerwünschte Hilfe vermeiden:

  • Erklären Sie kurz die Situation
  • Abklappbare Schiebegriffe
  • Drehen Sie die Griffe vom Helfer weg
  • Rollen Sie ein Stück nach hinten
  • Nennen Sie alternativ eine tatsächlich hilfreiche Unterstützung
  • Ironische Übertreibung
  • Humor

Und in beiden Fällen hilft ein Perspektivwechsel: Versetzen Sie sich in die Position des Helfers!

(Text: Lena Rudolph)

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