Zwischen Mitleid und Upgrade

Behinderung in Videospielen

Mann in einem Videospiel der auf dem Boden liegt uns versucht sich aufzurichten
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Videospiele finden in künstlich erschaffenen Welten statt, in denen theoretisch alles makellos und perfekt sein könnte. Doch die Spiele leben davon, dass es eben doch gut und böse, stark und schwach sowie scheinbar unüberwindbare (physische) Hürden gibt. Auch Behinderungen werden in Videospielen thematisiert, allerdings noch eher selten und in sehr unterschiedlicher Weise. Mal stellt die Behinderung eine bedauernswerte Einschränkung dar, mal eine Superkraft.
Mann in einem Videospiel, der auf dem Boden liegt und versucht,, in seinen Rollstuhl zu kommen
(c) MOBITIPP
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Es ist noch lange keine Selbstverständlichkeit, dass Behinderung auch in Videospielen ein Thema ist. Seit ein paar Jahren gibt es Avatare in Videospielen, die eine Behinderung haben wie zum Beispiel eine Lähmung, fehlende Gliedmaßen oder eine Sinnesbehinderungen wie Blindheit oder Gehörlosigkeit. Auch Menschen mit psychischen Behinderungen wie multiplen Persönlichkeitsstörungen sowie durch hohes Alter gebrechliche oder durch andere Beeinträchtigungen wie Albinismus beeinträchtigte Figuren tauchen hin und wieder auf. Avatare mit einer geistigen Behinderung sind allerdings eher selten oder kommen so gut wie gar nicht vor.

Ein frühes Videogame, in dem Behinderung eine wichtige Rolle spielte, war 2007 Killer7 aus Japan. Von den acht spielbaren Figuren haben immerhin drei eine Behinderung: Harman Smith ist ein gebrechlicher Greis im Rollstuhl, die Figur Kevin Smith, ein Erwachsener im besten Mannesalter, wurde mit Albinismus geboren (Pigmentstörung und dadurch bedingt eine sehr helle Haut) und die dritte Figur in der Riege, der 14jährige Teenager Con Smith, ist von Geburt an blind. Die körperlichen Beeinträchtigungen sind nicht nur oberflächlicher Natur, sondern spielen für das vom Gamer steuerbare Verhalten der Avatare eine spielentscheidende Rolle. Das Besondere: Innerhalb der Gruppe der „Killer“ sind die behinderten Protagonisten völlig gleichberechtigt und gewinnen sogar eher durch ihr Handicap, als dass sie dadurch verlieren. Behindert zu sein ist für dieses Videogame also von Vorteil. Allerdings bliebe zu diskutieren, ob die Gleichsetzung Behinderung = Killerinstinkte positiv für das Bild von Menschen mit Handicap ist.

Behinderungen haben nur eine untergeordnete Bedeutung

Etwa zeitgleich mit Killer7 kam die Computerspieleplattform Roblox auf den Markt, auf der die Mitspieler eigene Spiele mit Avataren entwickeln können. Später wurde in den USA die gleichnamige Spiele-App Roblox veröffentlicht, die seit 2019 auch auf Deutsch erhältlich ist und gleich sehr erfolgreich wurde. Die Games mit eher schlicht in grobpixeliger Grafik angelegten Figuren, die an Minecraft oder Lego erinnern, werden hauptsächlich von jüngeren Gamern gespielt. Diese können im „Roblox-Studio“ selber Mini-Spiele mit einem eigenen Avatar entwickeln beziehungsweise auswählen. Darunter ist auch ein Rollstuhlfahrer.

Es ist also durchaus möglich, in einigen Videospielen Avatare mit einer Behinderung zu schaffen, zu wählen oder ihnen zu begegnen. Genau das, so bemängeln einige Gamer, geschieht allerdings bei der Entwicklung von Videospielen noch viel zu selten. Auf einschlägigen Plattformen und in Gamer-Foren wird zum Beispiel das weitgehende Fehlen von Avataren mit Behinderung in dem beliebten Videospiel Sims von Maxis kritisiert. Es tauchen zwar gelegentlich Figuren mit Behinderungen in Videogames auf, so wie Lester in GTA 5 oder die schlaue Schildkröte Bentley aus „Sly Cooper – Jagd durch die Zeit“, aber allenfalls als Neben-, selten als Hauptfiguren.

Der Rollstuhl als Symbol für Behinderung

Zu den Ausnahmen gehört „Wolfenstein 2 – The New Colossus“, in dem der Gamer zumindest am Anfang eine Zeit lang als Actionheld im Rollstuhl einige Kämpfe auszufechten hat. Der blutrünstige Egoshooter wurde in Schweden vom Entwicklerstudio Machine Games 2017 als Nachfolger von „Wolfenstein: The New Order“ entwickelt und setzte durch die Einbindung behinderter Avatare in die Spielhandlung neue Akzente. Allerdings ist auch hier die Darstellung des Rollstuhls unrealistisch. Die Hauptfigur sitzt und rollt zwar, muss den Rolli aber nicht antreiben und kann dennoch wild rumballern, durch die Luken eines Flugzeugträgers oder über Leichen hinweggleiten.

Ein weiteres neueres Spiel mit einer Hauptfigur mit Behinderung ist „The Quiet Man“ mit einem gehörlosen Helden. Dieser bemerkenswerte Avatar steht zu seiner Behinderung, gewinnt so einen ganz eigenen Blick auf die Welt und bringt seine Gehörlosigkeit wie selbstverständlich und ohne falsches Pathos in die Spielhandlung mit ein. Das Beeindruckende an diesem beim japanischen Editor Square Enix 2018 nach einer Idee des US-amerikanischen Autors Joe Kelly entwickelten Videospiels ist die durchgehende Lautlosigkeit.

Behinderung als Upgrade

Auch der unrealistische Umgang mit Behinderung in Videospielen ist ein häufiger Kritikpunkt: Fehlt oder verliert zum Beispiel eine Figur einen Arm oder ein Bein, dann wird das nicht, wie im realen Leben, durch eine Prothese ersetzt, sondern durch ein unauffälliges Implantat oder wächst einfach nach. Für Rollstuhlfahrer in Videospielen gibt es meistens keinerlei Barrieren. Sie können einfach Treppen hoch- und runterfahren als wären sie Fußgänger. Zudem bewegt der Rollstuhl sich wie von Zauberhand allein und muss nicht mit den Armen oder durch einen Motor angetrieben werden. Manchmal sind behinderte Avatare aber auch bedauernswerte Kreaturen, die „an den Rollstuhl gefesselt“ sind und deshalb nicht mehr an aktiven Einsätzen teilnehmen können.

Es gibt aber auch Spiele-Apps, in den das Steuern eines Rollstuhls durch den Alltag und besondere Situationen die Herausforderung ist. In „Extreme Wheelchairing“ oder „Electric Wheelchair Simulator“ (EWS) können die Nutzer zum Beispiel „das Fahren im Rollstuhl auf stark befahrenen Straßen genießen“ wie es in der etwas unbeholfen übersetzten Beschreibung von EWS heißt. Auf große Begeisterung stoßen diese Spiele-Apps bisher nicht. Sowohl ihre Downloadzahlen als auch die Bewertungen bewegen sich auf vergleichsweise niedrigem Niveau.

Positive Kommunikation des Themas Behinderung durch Spieleanbieter

Auf der anderen Seite führt das Zusammenwachsen von Mensch und Maschine in Videospielen mitunter dazu, dass hybride Figuren entstehen, die in der Realität als behindert wahrgenommen würden, in der Spielewelt aber zu Helden mit Superkräften werden, zum Beispiel mit Augen, die alles durchdringen und vernichtende Laserstrahlen aussenden können, multifunktionale Prothesenarme mit unermesslicher Kraft oder bionische Beine, die Supersprünge ermöglichen. Hier stellt der Ersatz der gewöhnlichen Körperfunktionen keine Einschränkung, sondern eine Verbesserung dar. Die Spielfigur wird deshalb nicht als behindert, sondern als besonders befähigt wahrgenommen.

Von den Spieleanbietern wird das Thema Behinderung während der letzten Jahre zunehmend positiv kommuniziert. So wird nach Auskunft des Bundesverbandes Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) eine Harmonisierung der drei Begriffe Videospiele, Behinderung und Avatar immer wichtiger. Das zeigt sich bei der verbesserten Accessibility dank Barrierefreiheit ebenso wie beim Storytelling mit verstärkter Einbindung behinderter Figuren. Auf Messen wie der Gamescom in Köln wird die Thematik verstärkt kommuniziert. Immer mehr Hersteller betrachten es als ihre moralische Verpflichtung, Behinderungen noch mehr in ihren Videospielen zu berücksichtigen. Einen Rechtsanspruch auf Inklusion in Videospielen gibt es allerdings bislang noch nicht.

(Text: Volker Neumann)

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