MOBITIPP: Frau Spindelndreier, was fasziniert Sie an der Fotografie?
Anna Spindelndreier: Die Fotografie hat mich schon in jungen Jahren begeistert. Mein Vater ist Verleger. Er hat viel fotografiert und zum Beispiel Postkartenbücher gestaltet. Auch im Urlaub war die Kamera immer mit dabei. Ich fand es spannend, dass das, was ich durch den Sucher sah, immer ein bisschen anders aussah als in der Realität.
Mit neun Jahren schenkte mir mein Patenonkel eine eigene Kamera. Seitdem fotografiere ich mal mehr, mal weniger. Das Kreative an der Fotografie und die Anspannung, den richtigen Moment zu finden, um auf den Auslöser zu drücken, ziehen mich immer noch in den Bann. Ich liebe es, die Persönlichkeit der Menschen zur Entfaltung zu bringen. Erst kürzlich hatte ich wieder eine Kundin vor der Kamera, die sich in ihrem Körper erkennbar nicht wohlfühlte. Dazu kam die ungewohnte Studio-Atmosphäre. Als sie dann die fertigen Fotos sah, fand sie sich sogar richtig hübsch. Das macht mich glücklich.
MOBITIPP: Wie ist dann aus der Leidenschaft ein Beruf geworden?
Anna Spindelndreier: Als ich nach dem Abitur Fotografin werden wollte, riet mir meine Mutter ab. Sie meinte, ich solle etwas ,Vernünftiges‘ lernen. Mir war klar, dass sie mich in erster Linie vor Ablehnung schützen wollte. Deshalb habe ich mich um eine Ausbildung als Mediengestalterin beworben. Tatsächlich gab es nur Absagen, die ich, ohne es genau zu wissen, auf meinen Kleinwuchs schob. Als sich abzeichnete, dass dieser Berufsweg nicht klappen wird, habe ich mich dann doch um einen Ausbildungsplatz als Fotografin bemüht und schließlich einen bekommen. Auf die Bewerbungen um eine Festanstellung gab es später nur Absagen, teils richtig fiese.
MOBITIPP: Was haben Sie da erlebt?
Anna Spindelndreier: Ein Vorstellungsgespräch mit einem Unternehmerehepaar verlief eigentlich gut. Doch zum Schluss sagten sie ab – mit der Begründung, sie wüssten nicht, wie die Kunden auf mich reagieren würden. Ich war fassungslos: Was ist das für ein Argument?
Das ist erst zehn Jahre her und ein perfektes Beispiel dafür, dass es noch viel zu viele Vorurteile in den Köpfen der Menschen gibt. Nach dieser Erfahrung war mir klar, dass die Bemühungen um eine Festanstellung sinnlos sind und dass ich mir das auch nicht mehr antun werde.
MOBITIPP: Trotzdem haben Sie den Berufsweg weiter verfolgt.
Anna Spindelndreier: Ich habe dann beschlossen, in Dortmund Fotografie zu studieren. Noch während des Studiums habe ich mich selbstständig gemacht. Das ist jetzt ungefähr acht Jahre her. Vor Kurzem habe ich mich mit drei weiteren Medienprofis zur Design- und Marketing-Agentur helloyou. studio zusammengeschlossen. Wir bieten Fotografie, Grafikdesign, Film und Marketing unter einem Dach an. Viele Kundenprojekte erfordern heute Spezialisten unterschiedlicher Disziplinen und da sind wir jetzt breit aufgestellt.
MOBITIPP: Sind Sie thematisch spezialisiert?
Anna Spindelndreier: Wir als helloyou. studio sind ein um die Ecke denkendes Team aus dem Ruhrpott und stehen für Authentizität, Diversität und Kreativität. Immer up to date und ohne Künstlerattitüde. Damit wollen wir uns bewusst von dem Portfolio der Designagenturen absetzen, die herkömmliche Narrative erzählen.
MOBITIPP: Was bedeutet Sichtbarkeit in Ihrer fotografischen Arbeit?
Anna Spindelndreier: Im Kern meiner Fotografie ging es schon immer um die Themen Soziales und Menschen mit Behinderung. Mir ist es wichtig, die klischeehafte Darstellung zu durchbrechen und authentische Menschen sichtbarer zu machen. Ich habe schon früh festgestellt, dass Menschen mit Behinderung in den Medien und in der öffentlichen Wahrnehmung kaum vorkommen. Wenn es mal um Bebilderung eines Textes geht, werden entweder Rollstuhlfahrer oder Menschen mit Trisomie 21 gezeigt. Diese Fotos sind Stereotypen geworden, die die Wirklichkeit verfälschen. Die Vielfalt von Behinderung und das selbstverständliche Leben als Familienmitglieder, Ehepartner, Eltern, Schulkinder, Berufstätige oder Ehrenamtliche kommen nicht vor. Das ist auch der Grund, warum sich die Vorurteile in den Köpfen nicht abbauen. Die Menschen wissen zu wenig.
Zudem nutzen Medien gern Bilddatenbanken, die hauptsächlich von Agenturen und nicht behinderten Fotografen bestückt werden. Darauf sind häufig Models zu sehen, die Menschen mit Behinderung darstellen – zum Beispiel als Nutzer von Rollstühlen. Auf solchen Fotos wirken die Rollstühle meist sperrig und irgendwie unbeweglich. Wie Fremdkörper. Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer, die auf ihr Fahrzeug angewiesen sind, nutzen es wie ein Fußgänger seine Schuhe: geübt und ohne große Bugwelle. Selbstverständlich halt.
MOBITIPP: Welche Rolle spielt Ihre Körpergröße heute im beruflichen Bereich?
Anna Spindelndreier: Heute habe ich vor allem damit zu tun, dass ich unterschätzt werde. Diesem Vorurteil begegne ich fast täglich. Ein Klassiker: Obwohl Kunden wissen, wer kommt, erklären Sie meiner Assistentin oder meinem Assistenten den Job.
MOBITIPP: Wie gehen Sie damit um?
Anna Spindelndreier: Ich übergehe das meistens und überzeuge dann mit meinem Wissen. Alles andere wäre mir im Alltag zu anstrengend. Diese Erfahrungen sind auch eine Bestätigung dafür, dass es in vielen Bereichen noch an Aufklärung und Sichtbarkeit fehlt. Als kleine Frau in einer überwiegend von Männern dominierten Branche unterwegs zu sein, ist noch immer außergewöhnlich. Da gibt es kaum Rollenvorbilder. Deshalb mache ich mich und meine Geschichte öffentlich, wenn das an mich herangetragen wird.
In meinem Kleinwuchsverein sage ich immer: Ihr könnt alles werden, wenn ihr auch bereit seid, alles dafür zu tun. Fotografie kann ich allerdings nicht jedem empfehlen. Es ist auch ein Knochenjob.
MOBITIPP: Wer sind Ihre Kunden?
Anna Spindelndreier: Dazu gehören Privatpersonen, die sich ein entspanntes Fotoshooting gönnen. Hochzeiten fotografiere ich aber nicht. Die meisten Kunden kommen aus dem sozialen Bereich. Das sind vor allem Verbände und Organisationen wie die Aktion Mensch, Change.org und die Special Olympics NRW.
MOBITIPP: Hand aufs Herz: Lassen Sie sich gerne fotografieren?
Anna Spindelndreier: Ich bin tatsächlich lieber hinter der Kamera als davor. Ich kann mich gut einfühlen in Kundinnen und Kunden, die erst einmal ihre Scheu vor dem dunklen Kasten vor einem Gesicht überwinden müssen. Aber es lohnt sich, Vertrauen zu fassen und über den eigenen Schatten zu springen.
Das ist die Webseite von Anna Spindelndreier: www.annaspindelndreier.de
Hier erfahrt Ihr mehr über das helloyou. studio: https://www.helloyou-studio.de