Christian Au: „Dolmetscher“ in Sachen Kostenübernahme

Der Buxtehuder Rechtsanwalt hilft Menschen, ihren Anspruch auf Hilfsmittelversorgung vor Gericht durchzusetzen.

Christian Au, Anwalt für Sozialrecht, kennt das Thema Hilfsmittel und Kostenerstattung aus mehreren Blickwinkeln: Er war für eine große Krankenkasse tätig, bevor er sich mit einer eigenen Kanzlei in Buxtehude bei Hamburg selbstständig machte. Zudem ist er selbst Rollstuhlfahrer. Weil Christian Au komplizierte Sachverhalte super erklären kann, wurde aus dem geplanten Kurzinterview im Handumdrehen ein längerer Beitrag über die Kostenerstattung für Hilfsmittel durch die gesetzlichen Krankenkassen.
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Rechtsanwalt im Rollstuhl Christian Au
Rechtsanwalt Christian Au hat seine Kanzlei in Buxtehude bei Hamburg und hält bundesweit Seminare und Vorträge zu sozialrechtlichen Themen. Als Vater von zwei kleinen Töchtern liegen ihm die Interessen von Kindern besonders am Herzen. Privat hat der Rollstuhlfahrer und einstige Rollstuhlbasketballer inzwischen das Handbiken als Ausgleichssport für sich entdeckt. Wer vor Gericht langen Atem beweist, fährt mit dem Sportgerät nicht nur ums Haus, sondern gerne auch auf den Marathonstrecken des Landes.

MOBITIPP: Warum ist es denn oft so schwer, bei den gesetzlichen Krankenkassen Anträge auf Hilfsmittelversorgung durchzubringen, selbst dann, wenn die Begründung nachvollziehbar klingt?

Christian Au: Das ist es, weil Antragsteller nicht immer wissen, warum man welches Hilfsmittel mit Erfolg durchsetzen kann. Weil sie nicht wissen, welche Kriterien im Einzelnen erfüllt sein müssen, um genau dieses eine Hilfsmittel zu bekommen und weil sie leider häufig Argumente in der Begründung verwenden, die einer Bewilligung geradezu entgegenstehen.

MOBITIPP: Wie lässt sich das Dilemma lösen?

Christian Au: Man muss den Kern der Konflikte verstehen. Dabei hilft es sehr, sich zumindest in den Grundzügen mit den Rechtsgrundlagen vertraut zu machen.

Rechtlich bewegen wir uns in § 33 Sozialgesetzbuch V. Danach gibt es drei Alternativen, warum jemand ein Hilfsmittel bekommen kann. Erstens zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung. Zweitens zum Ausgleich einer Behinderung. Drittens, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen.

Die meisten Hilfsmittel werden zum Ausgleich einer Behinderung verordnet. Dieser Anspruch passt in der Praxis einfach am besten zu den meisten Fällen.

Unterschiede im Ausgleich einer Behinderung

MOBITIPP: Und da sagt das Bundessozialgericht, dass man unterscheiden muss zwischen dem mittelbaren Ausgleich einer Behinderung und dem unmittelbaren Ausgleich einer Behinderung?

Christian Au: Richtig. Aus dieser Unterscheidung, die gar nicht im Gesetz verankert ist, ergeben sich die meisten Kämpfe mit der Krankenkasse.

MOBITIPP: Erklären Sie uns bitte den Unterschied.

Christian Au: Der unmittelbare Behinderungsausgleich ist immer dann gegeben, wenn die ausgefallene Körperfunktion durch das Hilfsmittel wiederhergestellt werden kann. Beispiel: Die ausgefallene Körperfunktion „Laufen“ wird durch eine Prothese wiederhergestellt.

Im Gegensatz dazu gibt es den mittelbaren Behinderungsausgleich. Von dem sprechen wir, wenn sich die ausgefallene Körperfunktion durch das Hilfsmittel nicht wiederherstellen lässt, aber auf diesem Weg ein anderes Grundbedürfnis sichergestellt wird. Beispiel: Ein Rollstuhl kann die Grundfunktion „Laufen“ nicht wiederherstellen. Aber es deckt das Grundbedürfnis nach Mobilität, das das Bundessozialgericht definiert hat. Im Gesetz, also in § 33 Sozialgesetzbuch V, steht es aber nicht.

Wirtschaftlichkeitsgebot nur für mittelbaren Behinderungsausgleich

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MOBITIPP: Diese Unterscheidung hat ihre Fußangeln.

Christian Au: Ja, jetzt kommen wir zum Kern: Beim unmittelbaren Behinderungsausgleich – Beispiel Prothese – gibt es keine Wirtschaftlichkeitskorrektur. Das heißt, solange jemand vom technischen Fortschritt profitieren kann, hat er theoretisch Anspruch auf eine Neuversorgung.
Anders ist das beim mittelbaren Behinderungsausgleich, dem zum Beispiel wir Rollstuhlfahrer unterliegen. Dieser Anspruch unterliegt voll dem Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 Sozialgesetzbuch V. Hier steht, dass die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen. Außerdem dürfen sie das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.

MOBITIPP: Und da setzen die Kassen häufig an?

Christian Au: Da streichen sie praktisch alles zusammen, was zum Beispiel irgendwie mit Freizeit verbunden werden kann. Hier setze ich mich bundesweit vor allem für Kinder und Jugendliche ein. Weil es oft sehr gute Gründe gibt, den Betroffenen diese Hilfsmittel zu gewähren, die man aber erst herausarbeiten muss.

MOBITIPP: Wo sehen Sie da einen Hebel?

Christian Au: Der Ansatz ist die Frage nach dem Grundbedürfnis. Ein Handbike oder ein Therapiefahrrad stellt die ausgefallene Grundfunktion – das Laufen – ja bei einer Querschnittlähmung nicht wieder her. Da ist die Frage wichtig, welches Grundbedürfnis ein Hilfsmittel sicherstellt. Hierzu hat das Bundessozialgericht (BSG) über Jahrzehnte eine Hilfsmittelrechtsprechung entwickelt.
Ein solches Grundbedürfnis, das durch ein Hilfsmittel „auf anderem Wege“ erlangt werden kann, ist zum Beispiel die Mobilität oder die Erlangung einer angemessenen Schulbildung. Oder die Integration in die Gruppe Gleichaltriger. Darüber lässt sich oft plausibel begründen, warum ein bestimmtes Mobilitätshilfsmittel wie ein Handbike oder ein Therapiefahrrad erforderlich ist.

MOBITIPP: Ein Selbstläufer ist diese Begründung aber nicht?

Christian Au: Auch da gibt es knifflige Einzelfälle. Wenn ein Kind beispielsweise auch kognitive Einschränkungen hat und elterliche Beaufsichtigung braucht, wird davon ausgegangen, dass eine Integration in eine Gruppe Gleichaltriger nicht gelingen kann. Denn Gleichaltrige akzeptieren in der Regel nicht, dass ein Erwachsener dabei ist.

MOBITIPP: Was kann man denn schon bei der Antragsbegründung falsch machen?

Christian Au: Hier sind wir wieder bei der Eingangsfrage. Es geht darum, in Einklang mit der Anspruchsgrundlage zu sein. Zu begründen, warum mit den Hilfsmitteln ein Grundbedürfnis erfüllt werden kann, das vom Bundessozialgericht zugestanden wird. Hier kommen viele Anträge schon von Anfang an aufs falsche Gleis.

Ein Beispiel: Wenn Eltern ein Therapiefahrrad mit der Begründung beantragen, dass sie damit mit ihrer Tochter gemeinsame Sonntagsausflüge unternehmen können, haben sie schon einen Ablehnungsgrund gegen die Versorgung mitgeliefert. Selbst wenn ihnen der Sonntagsausflug eine Herzensangelegenheit ist und das menschlich absolut nachvollziehbar ist. Das Argument zielt auf Freizeitgestaltung, die nicht von einer Kassenversorgung abgedeckt werden kann. Sie übernimmt Kosten für das medizinisch Notwendige.

Eine Chance auf Kostenübernahme besteht nur, wenn damit ein zugestandenes Grundbedürfnis erfüllt wird und dieses überzeugend in den Vordergrund der Begründung gerückt wird.

MOBITIPP: Da ist dann oft Ihre Aufgabe als Anwalt, die Begründung geradezurücken?

Christian Au: Wenn ein Widerspruchs- und Klageverfahren erfolgsversprechend ist, arbeiten wir im Mandantenauftrag heraus, wie die Anspruchsgrundlage wirklich zu verstehen ist. So kann der Sachverhalt bei Gericht in einem anderen Licht gesehen werden.

Wenn es erkennbar keine Erfolgsaussichten gibt, rate ich einem Mandanten bei der Erstberatung auch von einem Widerspruchsverfahren ab. Dann wird eine kleine Beratungsgebühr fällig, die aber viel mehr Geld, Zeit und Nerven ersparen kann.

„Gesetzliche Kassen sind zur Beratung verpflichtet“

MOBITIPP: Wo kann man sich im Vorfeld Hilfe holen, wenn man keine finanziellen Mittel zur Verfügung hat?

Christian Au: Was viele Antragsteller nicht wissen: Sozialleistungsträger sind zur Beratung verpflichtet. Grundlage ist der § 14 Sozialgesetzbuch I. Diese Norm gilt auch für die gesetzlichen Krankenkassen. Beratung findet in der Realität meistens nicht statt. Da sind dann oft wir Anwälte gefragt. Gelegentlich kümmern wir uns sogar um die Vervollständigung der Unterlagen, was eigentlich Aufgabe der Sozialleistungsträger ist.

MOBITIPP: Können Sie denn Betroffene auch schon bei der Antragsbegründung unterstützen?

Christian Au: Wir begleiten Mandanten auch beim Antragsverfahren. Allerdings sind dafür Gebühren im mittleren dreistelligen Bereich fällig, denn Anwaltskosten sind erst ab dem Widerspruchsverfahren erstattungsfähig.

MOBITIPP:  Inwieweit kann die Sozialhilfe ergänzend zu den gesetzlichen Krankenkassen Kosten für Hilfsmittel übernehmen?

Christian Au: Unter bestimmten Voraussetzungen, die sich teilweise von denen der Krankenkassen unterscheiden, können sich Ansprüche aus der Eingliederungshilfe ergeben. Deren Leistungen sind allerdings in der Regel einkommens- und vermögensabhängig. Eine Ausnahme gibt es zum Beispiel, wenn es um ein Hilfsmittel geht, das in der Schule erforderlich ist. Aber das auszuführen, würde hier den Rahmen sprengen.

Christian Au findet ihr im Internet hier: www.rechtsanwalt-au.de
Im MOBITIPP „Kostenübernahme“ wird Christian Au einer unserer Experten sein.

(Text: Brigitte Muschiol)

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