Cornelia Sachs: „Selbstbestimmung fängt mit einer passenden Prothese an”

Die Körpertherapeutin und Buchautorin will Menschen mit Amputation Mut machen, ihr Leben aktiv und nach eigenen Vorstellungen zu gestalten.

Auf Cornelia Sachs sind wir durch ihr Buch „Weiter geht’s, Schritt für Schritt – Erfahrungen und Informationen von und für Amputierte“ aufmerksam geworden. Für dieses Projekt hat sie 25 Lebensgeschichten von Menschen mit Amputationserfahrung zusammengetragen. Die Wertheimerin geht seit mehr als vier Jahrzehnten mit einer Oberschenkelprothese durchs Leben. Und dies unter anderem viele Jahre in den USA.
Cornelia Sachs im Porträt
© Stefan Rippler
Wie lebt es sich mit einer Prothese?
Cornelia Sachs ist Herausgeberin des Buches „Weiter geht’s Schritt für Schritt”. Sie lebt mit einer Oberschenkelprothese und will anderen von einer Amputation betroffenen Menschen Informationen an die Hand geben und Mut machen, im Leben voranzugehen.

MOBITIPP: Frau Sachs, aus welchem Grund tragen Sie eine Oberschenkelprothese?

Cornelia Sachs: Bei mir war 1979 am linken oberen Ende des Schienbeins ein Knochentumor diagnostiziert worden. Da stand erst einmal das reine Überleben im Vordergrund. Ich habe mir deshalb auch viel Zeit bis zur Amputation 1980 gelassen, bis ich auch wirklich bereit dazu war. Das war natürlich eine andere Situation, als wenn es zum Beispiel nach einem schweren Unfall mit der medizinischen Versorgung dramatisch schnell gehen muss.

MOBITIPP: Hatten Sie damals eine große Auswahl, was die Prothese betrifft?

Cornelia Sachs: Damals gab es kein Internet und nicht viele Informationen zu Optionen. Der Schaft der Oberschenkelprothese muss ja immer individuell angepasst werden. Das war damals genau so wie heute. Ich hatte noch ein Kniegelenk mit Gummiring, das es heute nicht mehr gibt. Wenn ich zum Beispiel in der falschen Windrichtung stand, bin ich ein paar Mal hingefallen, weil mir der Wind den Unterschenkel weggeblasen hat. Diese Entwicklung hin zu mehr Sicherheit für den Prothesenträger steckte damals noch in den Anfängen.

Persönlich komme ich mit meiner Prothese gut zurecht. Ich habe einen hölzernen Schaft. Holz fühlt sich für mich angenehmer an als Kunststoff, woraus ja heute die meisten Schäfte gefertigt werden. Mein Knie, das nicht computergesteuert ist, kann ich zwar nur dann belasten, wenn es ganz gerade steht. Aber es hat zum Beispiel ein wesentlich geringeres Gewicht als ein Computerknie und es hat weniger Wartungsarbeiten. Durch geschulte Wahrnehmung und das jahrelange Körpertraining komme ich mit dieser Versorgung sehr gut zurecht. Jeder Mensch muss selbst herausfinden, was zu ihm passt.

MOBITIPP: Wie ist es Ihnen gelungen, ein unabhängiges, selbstbestimmtes Leben zu führen?

Cornelia Sachs: Die Voraussetzung für ein unabhängiges Leben ist eine gut sitzende Prothese. Das habe ich schmerzhaft erfahren. Nach der Amputation bin ich zu dem Prothesenbauer gegangen, zu dem ich geschickt wurde. Aber die Zusammenarbeit klappte nicht. Mein Stumpf wurde blau, ich hatte unglaubliche Schmerzen und war unglücklich. Der Prothesenbauer meinte, an ihm läge es nicht und ich solle mich am besten daran gewöhnen.
Auf die Empfehlung von Bekannten habe ich mir dann bei einer anderen Werkstatt eine neue Prothese anfertigen lassen. Mein Glück war, dass mich meine Eltern finanziell unterstützen konnten. Sonst hätte ich keine Experimente machen können, denn die Krankenkasse zahlt ja nicht gleich eine neue Prothese. Zu Auseinandersetzungen hatte ich noch nicht wieder die Kraft.

MOBITIPP: Wie ging es nach der Amputation weiter in Ihrem Leben?

Cornelia Sachs: Da ich solange mit der Amputation gewartet habe, konnte ich das Trauma schon vor der Operation ein ganzes Stück aufarbeiten. Durch Freunde bekam ich Hinweise auf einen Eutonie-Kurs. Das hat mir geholfen, meinen neuen Körper anzunehmen, wie er ist, ihn kennenzulernen und damit so gut wie möglich zu leben. Für mich war es der richtige Weg, mich mit meinem Schmerz auseinanderzusetzen und mein Selbstbild der neuen Gegebenheit anzupassen.

MOBITIPP: Wie sind Sie zu Ihrer beruflichen Ausrichtung gekommen?

Cornelia Sachs: Direkt nach der Amputation hatte ich muskulär bedingt sehr starke Rückenschmerzen und Beschwerden beim Gehen. Diese Schmerzen waren nach dem Eutonie-Kurs weg. So bin ich zur Ausbildung zu Gerda Alexander nach Kopenhagen gegangen, habe diese aber bald abgebrochen. Es war wohl noch zu früh für mich, so schnell und so tief in die Körperarbeit einzusteigen. Deswegen ließ ich mich erst zur Yogalehrerin und dann zur Heilpraktikerin ausbilden. Die Eutonie-Ausbildung habe ich dann 2016 in Deutschland beendet.

1991, elf Jahre nach der Amputation, bin ich mit meiner kleinen Tochter in die USA gegangen. Aus dem geplanten Jahr wurden knapp 24 Jahre. 2014 bin ich aus familiären Gründen wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Derzeit gebe ich wegen der Corona-Pandemie keine Kurse. Aber wer weiß, was noch kommt.

MOBITIPP: Wie war es für Sie, in den USA zu leben?

Cornelia Sachs: Ich habe dort eine Feldenkrais-Ausbildung absolviert und 17 Jahre in Albuquerque, New Mexico, eine eigene Praxis geführt. Was die Prothesenversorgung betrifft, war die Finanzierung reine Privatsache. Es gab keine Krankenversicherungen. In den USA sind Prothesen mindestens doppelt so teuer wie in Deutschland, weil keine Kassen die Preise begrenzt. Deswegen kam ich weiter zur Versorgung nach Europa und habe es mit Urlaub bei den Eltern verbunden. Auch in Deutschland kostet eine neue Oberschenkelprothese ja ungefähr so viel wie ein Mittelklassewagen. Also haben wir immer wieder repariert und das ging auch.

Mit dem pneumatischen Knie konnte ich alles machen, was ich wollte, wobei meine Wünsche und Erwartungen nicht athletisch sind. Ich bin früher sehr gern und sehr viel gelaufen. Mit der Zeit habe ich immer mehr gelernt, mich auf den Moment zu konzentrieren. Damit war und bin ich zufrieden.

MOBITIPP: Wie ist es zu dem Buch „Weiter geht’s, Schritt für Schritt“ gekommen, das sich an Menschen mit Amputation, Angehörige und Menschen wendet, denen eine Amputation bevorsteht?

Cornelia Sachs: Als Prothesenträger hat man aus Kostengründen nicht viele Möglichkeiten, Entscheidungen zu korrigieren. Fundierte, unabhängige Informationen sind deshalb besonders wichtig. Sie stärken die Entscheidungskraft und -fähigkeit.

Ich habe mich deshalb entschieden, Menschen zu bitten, ihre Lebensgeschichte zu erzählen und daraus ein Buch ohne Bezug zu Herstellern oder Marken zu machen. Anfängliche Skepsis bei den Schreibern konnte ich überwinden helfen. Als das Buch herauskam, war die Zustimmung sehr groß. Zur Zeit bereite ich eine zweite, etwas erweiterte Auflage vor. Das Buch wird voraussichtlich zum Jahresende bzw. Anfang 2022 herauskommen.

MOBITIPP: Welche Informationsquellen empfehlen Sie ansonsten?

Cornelia Sachs: Das Buch enthält eine Liste von Anlaufstellen, Selbsthilfegruppen und Organisationen. Ich kann nur ermutigen, proaktiv zu werden. Es lohnt sich auf jeden Fall.

 

Mehr über Cornelia Sachs erfahrt Ihr auf Ihrer Webseite: www.corneliasachs.com

Wer sich für ihre 51-minütige Video-Dokumentation und ihr Buch interessiert, klickt hier: https://corneliasachs.com/videos-und-buchprojekt/

(Text: Brigitte Muschiol)

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