Kinder mit Behinderung frühzeitig für den Straßenverkehr fit machen

Schau links, schau rechts…

Viele behinderte Kinder haben es gut. Dank Fahrdienst und Mamataxi müssen sie sich nicht mit den Herausforderungen des Straßenverkehrs beschäftigen. Perspektivisch ist es jedoch besser, die Kinder frühzeitig darauf vorzubereiten, dass sie auch alleine draußen unterwegs sein können. Das geht natürlich nicht in jedem Fall, aber für viele behinderte Kinder gibt es Möglichkeiten und Wege.
Bild von der Seite auf einen Rollstuhl mit Kind
(c) falco auf Pixabay
Fit im Straßenverkehr

Das Mamataxi ist in den vergangenen Jahren immer beliebter geworden. Schon stöhnen viele Lehrer und die Anwohner von Schulen, weil die Zufahrtsstraßen morgens heillos verstopft sind. „Einige Eltern würden ihre Kinder am liebsten bis ins Klassenzimmer fahren“, berichtet ein Polizist. Auf Verkehrsregeln und andere Verkehrsteilnehmer nehmen die Eltern dabei oftmals wenig Rücksicht. Damit die lieben Kleinen möglichst wenig zu Fuß gehen müssen und möglichst wenig Risiko ausgesetzt sind, halten die Eltern im Halteverbot, in Bushaltebuchten und auf Zebrastreifen.

Die Rede ist hier von ganz gewöhnlichen Schulen in ganz Deutschland – und nicht etwa nur von Förderschulen. Viele Eltern glauben, ihren Kindern einen Gefallen damit zu tun, wenn sie ihnen Wind und Wetter, Zeit und die Risiken des Straßenverkehrs ersparen. Weil das nicht stimmt, haben das Deutsche Kinderhilfswerk und der alternative Verkehrsclub Deutschland e.V. (VCD) im Herbst 2015 die Aktion „Zu Fuß zur Schule“ ausgerufen. Auf dem Plakat mit dem damals für die Aktion geworben wurde, sitzt eines der drei Kinder im Rollstuhl.

Wichtiger Lernprozess für Kinder und Eltern

Die Botschaft dahinter ist eindeutig: Auch behinderte Kinder sollten so früh wie möglich an den Straßenverkehr gewöhnt werden. Wie so häufig bei Kindern hängt das im Wesentlichen mit ihrer Entwicklung zusammen. Je früher ein Kind lernt, sich alleine im Straßenverkehr zurechtzufinden, desto sicherer wird es sich später selbstständig darin bewegen. Diese Sicherheit lässt sich im Erwachsenenalter nicht vollends nachholen. Das vermeintlich wohlmeinende Verhalten vieler Eltern stellt deshalb in Wahrheit ein gravierendes Versäumnis dar.

Beispielsweise entwickeln Kinder nur dann eine innere Landkarte, wenn sie ihre Umgebung selbstständig erkunden dürfen. Wie gut oder schlecht sie später einmal in der Lage sind sich zu orientieren, hängt also auch davon ab, wie viele Möglichkeiten ihnen die Eltern im Kindesalter gegeben haben, selbstständig unterwegs zu sein. Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Abschätzen von Entfernungen und Geschwindigkeiten. Während die Kinder beim Laufen oder Rollen Sicherheit im Straßenverkehr gewinnen, können auch die Eltern dazulernen. Je alltäglicher es wird, dass Kinder sich selbstständig im Straßenverkehr bewegen desto besser wissen die Eltern, dass sie keine Angst um ihren Nachwuchs haben müssen. Das ist eine Chance, die Eltern ihren Kindern nicht vorenthalten sollten.

Voraussetzung ist ein sicherer Umgang mit dem Hilfsmittel

Natürlich bedeuten alle diese Erkenntnisse und Appelle nicht, dass man alle Kinder einfach bedenkenlos auf die Straße schicken sollte. Bis zur Einschulung raten die Experten ohnehin zu besonderer Vorsicht, weil die Kinder einfach geistig noch nicht in der Lage sind, mit den komplexen Vorgängen des Straßenverkehrs angemessen, zuverlässig und sicher umzugehen. Auch danach muss insbesondere bei behinderten Kindern sehr genau abgewogen werden, ob die Fähigkeiten zu einer selbstständigen Teilnahme am Straßenverkehr ausreichen. Das sollte mit Bedacht, aber auch mit Mut erfolgen, damit das Kind seinen Fähigkeiten entsprechend so früh wie möglich mit dem Verkehrstraining beginnen kann.

Wie bei allen Dingen, die wir im Leben lernen müssen, ist Üben der beste Weg zur Perfektion. Während sich jedoch nichtbehinderte Kinder „nur“ mit den Tücken des Straßenverkehrs vertraut machen müssen, stellen sich behinderten Kindern oftmals buchstäblich noch andere Hindernisse in den Weg. Bevor es also so richtig losgeht, sollte sichergestellt sein, dass das Kind ein eventuell erforderliches Hilfsmittel sicher beherrscht. Denn auch eine grüne Ampel nützt wenig, wenn das Kind viel zu lange braucht, um in der Grünphase den abgeflachten Bordstein herunter- und auf der anderen Seite wieder heraufzufahren.

Übung macht den Meister

Insbesondere für Rollstuhlfahrer bieten deshalb einige Vereine und Unternehmen Kurse an, die die Kinder fit für ihr Hilfsmittel machen. Auch viele Sportvereine oder einzelne Sportlehrer von Rehakliniken stehen ebenfalls für solche Trainings zur Verfügung. Auch David Lebuser und Lisa Schmidt von Sit’n’Skate bieten entsprechende Kurse an: https://www.sitnskate.de/angebote/rollstuhltraining/. Auf dem YouTube-Kanal der beiden gibt es auch eine Videoreihe mit wertvollen Tipps, wie man das Rollstuhlfahren perfektionieren kann.

Schriftenreihe Verkehrssicherheit: Menschen mit (Mobilitäts-)Behinderung

In seiner Schriftenreihe Verkehrssicherheit bietet der Deutsche Verkehrssicherheitsrat mit Band 18 ein Handbuch für Fachkräfte zur Förderung der Mobilitätskompetenzen von Menschen mit Behinderungen an. Das 160 Seiten starke Werk wurde von Frau Prof. Dr. Reinhilde Stöppler verfasst und zeigt umfassende Bildungsangebote für Fachkräfte auf, die Menschen mit Mobilitätsbehinderungen in ihren Mobilitätskompetenzen fördern. Das Buch kann im Internet kostenlos als PDF heruntergeladen werden.

Sobald Kind und Hilfsmittel eine sichere und vertraute Einheit bilden, können die Übungen im Straßenverkehr beginnen. Auch hier sollte es langsam losgehen, am besten zunächst einmal gemeinsam mit den Eltern. Geht es zum Beispiel um den Schulweg, empfehlen die Experten, insbesondere bei jüngeren Kindern einen sicheren Weg festzulegen. Im Vordergrund steht dabei, nicht den kürzesten Weg zu wählen, sondern einen, der gefährliche Passagen und Kreuzungen vermeidet.

Zur Sicherheit ein Handy oder Smartphone mitnehmen

Diesen können Eltern und Kind so oft gemeinsam abgehen (-fahren), bis das Kind ihn sicher beherrscht. Danach kann das Kind einzelne Etappen oder den gesamten Weg alleine bewältigen. Sobald das geschafft ist, können auch andere, schwierigere Strecken in Angriff genommen werden. So lernt das Kind nach und nach den Straßenverkehr kennen und sich sicher darin zu bewegen. Ganz nebenbei lernt es aber auch, dass seine Eltern ihm etwas zutrauen und es auf seinem Weg in die Selbstständigkeit begleiten und unterstützen.

Die Sicherheit von Kindern im Straßenverkehr, insbesondere auf dem Weg zur Schule, ist ein wichtiges Thema in vielen Organisationen. Die entsprechenden Ratgeber sind in der Regel nicht für behinderte Kinder ausgelegt, allerdings gelten die allermeisten Tipps und Hinweise natürlich auch für sie. Informationen und Broschüren zum sicheren Schulweg gibt es zum Beispiel hier:

Verkehrsclub Deutschland e.V.: https://www.vcd.org/stelbststaendige-mobilitaet-kinder/

Deutsche Verkehrswacht: https://deutsche-verkehrswacht.de/zielgruppe/sicherheit-fuer-kinder/

Unfallforschung der Versicherer e.V.: https://udv.de/de/mensch/schulweg

Deutscher Verkehrssicherheitsrat: https://www.dvr.de/praevention/programme/kind-und-verkehr

Eine gute Absicherung für alle Beteiligten ist dabei, wenn das Kind ein Handy oder Smartphone bei sich hat. Schon ein unerwarteter Platzregen oder ein geplatzter Reifen können zum Beispiel einen Rollstuhlfahrer in arge Bedrängnis oder gar eine ausweglose Situation bringen. Für solche Situationen ist es gut, wenn das Kind die wichtigsten Telefonnummern eingespeichert hat und sich Hilfe rufen kann. Doch Vorsicht: Kinder sind schlau und wissen solche Schlupflöcher geschickt für sich zu nutzen. Schicken Sie das Notfall-Mamataxi also nur dann, wenn es wirklich benötigt wird.

Nicht bis ins Klassenzimmer fahren

Und was ist, wenn der Weg zur Schule viel zu weit ist, um ihn zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem Rollstuhl zurückzulegen? Der Expertenrat ist einfach: Dann sollte das Mamataxi oder der Fahrdienst nicht bis vor die Schule fahren, sondern ein paar Hundert Meter davor anhalten. Das entspannt die Verkehrssituation vor der Schule und gibt den Kindern Gelegenheit, sich im Straßenverkehr zu üben. Obendrein hat eine solche Maßnahme noch einen weiteren wichtigen Vorteil: Kinder, die sich morgens in der frischen Luft bewegt haben, sind viel wacher und lernfreudiger.

(Text: Michael Glast, Volker Neumann)

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