Oliver Raach: „Ich gebe die Vorlage, damit andere ihre Tore schießen können”

Der Baden-Württemberger arbeitete unter anderen für Paravan und derzeit für Felitec

Der Unternehmensberater Oliver Raach passt in keine der gängigen Schubladen. Nach einem Autounfall 2005, den er nur äußerst knapp überlebte, erkannte er in der Hilfe für Menschen mit Behinderung seine Lebensaufgabe. Vielseitig gebildet und ausgebildet schuf sich Oliver Raach sein eigenes Betätigungsfeld, in dem er sich unkonventionell und mit Leidenschaft bewegt. Ein Herzensanliegen ist dem 57-Jährigen, auch mobilitätseingeschränkte Menschen mit kognitiven Einschränkungen fit für den Führerschein zu machen.
Oliver Raach mit Carmen Würth im Porträt
© Oliver Raach
Mutmacher Oliver Raach
Oliver Raach, Experte für CSR- und Reputationsmanagement, mit Carmen Würth, die in Künzelsau das Inklusionshotel Anne-Sophie gegründet hat. Für sein berufliches und ehrenamtliches Engagement erhielt der Baden-Württemberger zahlreiche Preise. Darunter 2015 den Großen Preis des Mittelstandes in der Kategorie Lebenswerk sowie den Deutschen Motivationspreis der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe.

MOBITIPP: Herr Raach, Ihr jetziger Lebensweg erklärt sich ganz maßgeblich aus den Folgen Ihres schweren Autounfalls im Jahr 2005. Was ist damals passiert?

Oliver Raach: Mir kam ein Auto auf meiner Seite entgegen, ich wich aus, um einen Frontalzusammenprall zu vermeiden und überschlug mich. Nach meinem unverschuldeten Unfall lag ich mehrere Wochen im Koma, konnte nicht mehr laufen, sprechen und denken. Ich erlitt drei Hirnblutungen, mehrere Schädelfrakturen und zahlreiche andere multiple Verletzungen. Aus ärztlicher Sicht war ich ein hoffnungsloser Fall. Kaum jemand traute mir in dieser Lage noch etwas zu. Aber ich habe mich mit enormer Willensstärke ins Leben zurückgekämpft.

MOBITIPP: Wie kann man sich das vorstellen? Wie war das möglich?

Oliver Raach: Mir war klar, dass das nur mit eisernem Training von Körper und Geist, Sprach-, Bewegungs- und Denkvermögen funktionieren würde. Und dass dies unglaublich viel Arbeit und Selbstüberwindung bedeuten würde. Dabei hatte ich glücklicherweise immer die richtige Strategie gewählt.

MOBITIPP: Was heißt „die richtige Strategie“? Meinen Sie damit die intuitiv richtige Auswahl von hilfreichen Therapien und Anwendungen?

Oliver Raach: In der Schmieder Klinik in Gailingen habe ich verschiedene Therapien und Methoden kennengelernt und sehr davon profitiert. Wo es keine Therapien gab, ich aber trotzdem etwas für mich tun wollte, habe ich einfach selbst eine Methode entwickelt. Dabei ist mir zugutegekommen, dass ich eine breite Vorbildung hatte. Daraus konnte ich in dieser Lebenslage schöpfen und tue dies bis heute.

Ich bin zum Beispiel Betriebswirtschaftler, Industrial Engineer und der erste öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für die Kfz-Versorgung Körperbehinderter. Hauptsächlich arbeite ich als Unternehmensberater mit dem Schwerpunkt Corporate Social Responsibility, also der Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch Unternehmen. Ich schreibe Bücher und Artikel. Außerdem bin ich Musiktherapeut und Vortragsredner. Diese Vielseitigkeit erlaubt mir, Wissen zu verknüpfen und neue Ansätze für Probleme zu finden.

MOBITIPP: Wie haben Sie Ihrem Leben nach dem Unfall eine neue Richtung gegeben?

Mann mit Alphorn am Strand von Sylt
© privat

Oliver Raach: Der Impuls, mein Leben zu verändern, kam aus den vielen Gesprächen, die ich in der Klinik geführt habe. Ich habe Menschen kennengelernt, die einfach niemanden hatten, der sie unterstützt. Viele wissen nicht, ob und wie sie wieder in ein eigenständiges Leben zurückkehren können. Da steht die Frage der Mobilität ganz oben. Gerade Menschen mit Hirnverletzungen und daraus resultierenden kognitiven Einschränkungen sind oft mutlos, wenn sie sich vorstellen, dass sie vielleicht nie mehr in der Lage sein werden, selbstständig Auto zu fahren. Andere sind einfach zutiefst einsam und haben den Lebensmut verloren.

Das hat mich sehr berührt und dadurch erkannt, was mein neuer Beruf, meine neue Leidenschaft sein soll: Ich muss dafür sorgen, dass es jemanden gibt, der solchen Menschen hilft und zwar ich selbst. Dieses Vorhaben wiederum war auch mein eigenes Sprungbrett ins Leben. Ich möchte Menschen durch mein eigenes Beispiel und durch meine Unterstützung einen neuen Sinn im Leben geben. Ich sehe mich dabei als Vorlagengeber, der anderen hilft, selbst Tore zu schießen und dadurch ihr Ziele zu erreichen.

MOBITIPP: Können Sie uns ein Beispiel nennen, wie Sie konkret helfen können?

Oliver Raach: Hermann Hesse hat mal gesagt: „Kein Mensch kann beim anderen etwas sehen und verstehen, was er nicht selbst erlebt hat.“ Ich kenne die Situation von Menschen, die nach einer Hirnverletzung unter eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten leiden, aus verschiedenen Blickwinkeln: Ich habe das selbst erlebt. Außerdem kenne ich sie aus meiner Erfahrung als Kfz-Sachverständiger für mobilitätseingeschränkte Menschen sowie als Ideengeber und langjähriger Ansprechpartner für die Paravan-Stiftung.

Mit diesem Wissen im Hintergrund habe ich ein individuell anpassbares Sieben-Säulen-Programm entwickelt. Es soll Menschen mit dem Wunsch nach Automobilität, die vielleicht aufgrund ihrer kognitiven Einschränkungen schon von vielen Stellen abgelehnt worden sind, doch noch fit für den Führerschein machen. Wir trainieren gemeinsam zum Beispiel die Aufmerksamkeit und die Merkfähigkeit. Eine der Säulen ist die Arbeit mit Gedichten und Aphorismen. Das bringt viel Freude mit sich.

Ich darf sagen, dass viele Menschen, die nach meinem Programm trainiert haben, die Führerscheinprüfung geschafft haben und glücklich über ihre wiedergewonnene Selbstständigkeit sind. Inzwischen wenden sich auch schon Sachverständige, Anwälte und Richter an mich, um meine Einschätzungen zu Einzelfällen zu erfahren.

MOBITIPP: Mitte 2021, mitten in der Coronazeit, sind Sie im Süden der Republik mit Alphorn und Trompete unterwegs gewesen und haben „25 Orte im Kreis der Menschlichkeit“ aufgesucht. Was hat es damit auf sich?

Oliver Raach: Ich weiß aus vielen Gesprächen, wie einsam Menschen sein können. Das gilt während der Corona-Pandemie in noch viel höherem Ausmaß als sonst. Mit meiner musikalischen Tour wollte ich den Menschen Freude und Zuversicht vermitteln, dass es immer ein Vorwärtskommen gibt. Die Reaktionen der Zuhörer zeigen: Die Botschaft kam an.

MOBITIPP: Seit einiger Zeit arbeiten Sie auch für den Autoumrüster Felitec in Schorndorf. Wie kam es zu der Zusammenarbeit und was sind dort Ihre Aufgaben?

Oliver Raach: Nach vielen Jahren bei Paravan zog es mich der Liebe wegen nach Esslingen. Bei einer Firmenveranstaltung, bei der ich einen Vortrag über Corporate Social Responsibility, also über die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen im Sinne eines nachhaltigen Wirtschaftens, hielt, bin ich mit dem Felitec-Inhaber Felix Liehr ins Gespräch gekommen. Seitdem berate ich das Unternehmen bei diesem Thema.

Die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch Unternehmen liegt mir sehr am Herzen. Ich ermutige jede Firma, nachhaltig zu wirtschaften, aber auch, sich sozial zu engagieren. Oft geht es dabei gar nicht nur um Geld, sondern um Zuwendung, Inspiration, Chancen und Perspektiven.

MOBITIPP: Wie erholen Sie sich denn von all Ihren Aktivitäten und von der unermüdlichen Bereitschaft, mit Menschen in Kontakt zu sein?

Oliver Raach: Das Schlimmste für Menschen ist die Einsamkeit. Wenn ich dann erlebe, dass ein Kümmern und Wertschätzen Glücksgefühle beim Gegenüber auslöst, gibt mir das umgehend neue Kraft und Energie. Das ist unbezahlbar. Da geht nichts drüber.

MOBITIPP: Vielen Dank für das Interview, Herr Raach.

(Text: Brigitte Muschiol)

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