MOBITIPP: Herr Mensing, Sie hatten gerade die 10. Klasse in der Gesamtschule abgeschlossen, als in den Sommerferien der schwere Autounfall passierte. Was hat sich dadurch für Sie verändert?
Rudolf Mensing: Bei dem Unfall wurde mein 5. Halswirbel zertrümmert. Zunächst war ich sieben Monate in der BG Unfallklinik in Frankfurt am Main in Behandlung und zur Reha. Danach lebte ich erst einmal wieder zu Hause, wo sich meine Mutter um mich kümmerte.
Schulisch bedeutete die Querschnittlähmung, dass ich mir eine neue, halbwegs barrierefreie Schule suchen musste, um das Abitur machen zu können. Da die Gesamtschule ohnehin nur bis zur 10. Klasse ging, war dieser Wechsel nicht so dramatisch. Bei meinen Hobbys sah das anders aus. Damals bin ich viel Motorrad gefahren – auch Rennen – und das ziemlich vielversprechend. Als DJ habe ich mit Begeisterung Platten aufgelegt. Das war auf einmal alles weg. Ich konnte ja auch meine Hände nicht mehr bewegen. Ich stand also vor der Frage, welche Inhalte mein Leben noch haben könnte.
MOBITIPP: Welche Gewissheiten hatten Sie noch?
Rudolf Mensing: Es stand für mich immer fest, dass ich mein Abitur machen und studieren werde. Aber es hat bestimmt noch acht bis zehn Jahre gedauert, bis ich wieder halbwegs in meinem Leben angekommen bin und sagen konnte: Ok, mit diesem Leben kann ich mich abfinden. Darauf kann ich aufbauen.
Aus Schulungen und Gesprächen bei der FGQ weiß ich, dass Betroffene teilweise viel schneller mit ihrer neuen Situation zurechtkommen. Das ist auch persönlichkeitsabhängig. Ich war schon immer ein Grübler, der sich viele Gedanken macht. Nicht zufällig habe ich im Studium neben Germanistik im Hauptfach und Anglistik im Nebenfach noch Philosophie als zweites Nebenfach gewählt.
MOBITIPP: Wie war der Berufseinstieg als Rollstuhlfahrer mit einer 24-Stunden-Assistenz?
Rudolf Mensing: Sowohl das Studium als auch der Berufseinstieg brauchten seine Zeit. Es ergaben sich immer wieder Veränderungen im Leben, mit denen ich umgehen musste. So wurde zum Beispiel vor einigen Jahren sehr kurzfristig die zunächst auf unbestimmte Zeit gezahlte Rente der Versicherung meines Unfallgegners eingestellt. Dadurch musste ich neue Perspektiven entwickeln, was etwa auch meinen Lebensunterhalt betraf.
Nach dem Studienabschluss bin ich dann von zu Hause ausgezogen. Dadurch kamen neue Fragen auf mich zu: Wie schaffe ich es, eine 24-Stunden-Assistenz zu organisieren? Wer kommt als Kostenträger infrage? Wie funktioniert das persönliche Budget? Was heißt es, Arbeitgeber zu sein? Wie schreibt man Dienstpläne, was ist bei Lohnabrechnungen zu beachten, wie schließt man Verträge mit den Kostenträgern ab? Das ganze Programm.
Es war und ist nicht einfach, individuelle Antworten auf seine Fragen zu bekommen. Jede Lebenslage ist anders. Broschüren können da nur die Richtung weisen. Auch die Vernetzung von Ämtern, Verbänden und Selbsthilfegruppen war noch nicht sehr fortgeschritten. Heute gibt es mehr Vernetzung, aber immer noch zu wenig. Zudem betreffen viele Fragen nicht die Bürokratie, sondern eher Einstellungen und Empfindungen.
MOBITIPP: Machen wir einen Sprung zu ihrem aktuellen Arbeitsplatz beim Internationalen Bund IB in Frankfurt. Wie kam es dazu und was bedeutet Ihnen Ihre Arbeit?
Rudolf Mensing: Zum Internationalen Bund, der seinen Hauptsitz in Frankfurt hat, bin ich über eine Freundin gekommen. Sie hat ihre Tätigkeit in der politischen Kommunikation aufgegeben und mich als Nachfolger empfohlen. Das hat dann auch geklappt. Schon bald kamen die Organisation und Redaktion der internen Printzeitung für die 14.000 Mitarbeiter der IB Gruppe dazu. Ich kümmere mich zum Beispiel um Fachautoren für bestimmte Themen, redigiere Artikel und koordiniere die Abläufe. Wegen dieser zusätzlichen Aufgaben wurde meine Stundenzahl erhöht, sodass ich inzwischen etwas mehr als eine Halbtagesstelle habe.
Ich erfahre viel Anerkennung für meine Arbeit und werde als Kollege auf Augenhöhe behandelt. Es tut gut, für seine Fähigkeiten und für seine Persönlichkeit geschätzt zu werden – unabhängig von einer Einschränkung. Dafür lohnt es sich, Geduld aufzubringen und den langen, oftmals frustrierenden Weg der Bewerbungen zu gehen.
MOBITIPP: Warum haben Sie sich zum Peer für die Fördergemeinschaft der Querschnittgelähmten ausbilden lassen?
Rudolf Mensing: Bei einem routinemäßigen Check in der Klinik hat mich ein Mann angesprochen und mir einige Fragen gestellt, die darauf schließen ließen, dass er erst vor Kurzem verunfallt war. Im Gespräch habe ich festgestellt, dass ich über die Jahre großes Fachwissen angesammelt habe. Ich beschloss, mich damit ehrenamtlich zu engagieren. Da die FGQ zu dieser Zeit im Raum Frankfurt am Main Regionalgruppen, bzw. Stammtische um die Schwerpunktkliniken aufbaute, passte das genau. Ein Jahr nach Beginn meiner ehrenamtlichen Tätigkeit kam Corona. Weil wir keine lange Beratungspause einlegen wollen, haben wir einen wöchentlichen Online-Stammtisch eingerichtet. Erzählt das weiter!
MOBITIPP: Wie funktioniert dieser Video-Chat-Stammtisch?
Rudolf Mensing: Unser Stammtisch findet im wöchentlichen Wechsel donnerstags um 16 Uhr und freitags um 18 Uhr statt. Teilnehmen kann jeder, der Fragen zu Themen wie Autoumrüstung, Reisen, Wohnen, Hilfsmittel oder Beruf hat oder sich einfach nur austauschen möchte. Der entsprechende Link zur Software Zoom wird auf der Webseite der FGQ veröffentlicht. Auch Angehörige können sich melden. Sie haben zwar meist ihre eigenen Themen und könnten die FGQ-Angebote für Angehörige nutzen. Aber in der Pandemie-Zeit bieten wir uns gern als Gesprächspartner an und vermitteln bei Bedarf weiter.
MOBITIPP: Was ist aus Ihren ursprünglichen Leidenschaften und Hobbys geworden?
Rudolf Mensing: Manche Pläne und Wünsche haben sich mit der Zeit verflüchtigt. So trauere ich meinem ursprünglichen Traumberuf als Mediengestalter schon Jahrzehnte nicht mehr hinterher. Das war ein Trendberuf, dessen Realität sich eher als ernüchternd erwies. Das Zeichnen vermisse ich auch nicht dringend. Ich lese viel, lebe meine Kreativität beim Schreiben aus.
Manchmal denke ich daran, was wohl aus der Rennfahrerei geworden wäre. Immerhin habe ich fürs Plattenauflegen einen guten Ersatz gefunden: DJs arbeiten heute mit dem Laptop. Man muss also nicht unbedingt Platten anfassen und auflegen können, um für gute Musik zu sorgen.
Hier gibt es mehr Informationen über die FGQ: https://www.fgq.de
Hier erfahrt Ihr mehr über den Online-Stammtisch: https://www.fgq.de/news/termine/