Elektroautos vorläufig nur bedingt geeignet

Interview mit Frank Rösner, 1. Vorsitzender des Verbands der Fahrzeugumrüster für mobilitätseingeschränkte Personen e.V. (VFMP)

Der Kreativität und dem Knowhow der deutschen Autoumrüster ist es zu verdanken, dass Menschen mit Behinderung und Senioren (auto-)mobil sein können. Weil sich das Rad aber nicht immer wieder neu erfinden lässt und viele Umbaulösungen ohnehin sehr individuell sind, war es in der Vergangenheit meist nicht dramatisch, wenn man sich mal zwei, drei Jahre nicht auf einer Messe die neuesten Entwicklungen anschauen konnte. Ausgerechnet jetzt, wo die gravierendste Transformation des Marktes seit Erfindung des Autos vom Verbrennungs- zum Elektromotor vollzogen wird, finden jedoch keine Messen statt, auf denen Menschen mit Behinderung sich darüber informieren können, was diese Veränderung für sie bedeutet. Wir sprachen deshalb mit Frank Rösner, dem 1. Vorsitzenden des VFMP.
Mann neben einem Auto, das elektrisch aufgeladen wird
(c) Mobitipp
Frank Rösner, 1. Vorsitzender des VFMP

MOBITIPP: Herr Rösner, Elektroautos boomen derzeit und werden staatlich subventioniert. Viele Autokonzerne haben angekündigt, dass sie noch in diesem Jahrzehnt die Produktion von Autos mit Verbrennungsmotor einstellen werden. Raten Sie Menschen mit Behinderung dazu, diesem Trend zu folgen?

Frank Rösner: Das kann man so pauschal nicht beantworten. In einigen Fällen ist ein Elektroauto auch für Menschen mit Behinderung eine gute Wahl, in anderen nicht. Bei der Entscheidung sind eine Reihe von Faktoren zu berücksichtigen. Fakt ist aber, dass die Nachfrage nach Elektroautos bei Menschen mit Behinderung bisher hinter der allgemeinen Entwicklung zurückbleibt.

MOBITIPP: Worauf führen Sie diese Zurückhaltung zurück?

Frank Rösner: Für Menschen mit Behinderung und Senioren ist das Auto ein wesentlicher Baustein ihrer individuellen Mobilität und Lebensqualität. Sie sind auf eine absolut zuverlässige und bewährte Lösung angewiesen und können oder wollen sich nicht auf Experimente einlassen. Sowohl die Technik als auch die Infrastruktur von Elektroautos befinden sich aber noch in der Entwicklung beziehungsweise im Aufbau. Für Menschen mit Behinderung und Senioren ist das noch mit gewissen Risiken verbunden, auf die sich viele offensichtlich nicht einlassen möchten.

MOBITIPP: Wann kann denn ein Elektroauto bereits eine gute Alternative für einen behindertengerechten Umbau sein?

Frank Rösner: Die Umrüster aus unserem Verband haben schon sehr früh Umbaulösungen für Elektroautos entwickelt. Im Standardbereich, also zum Beispiel bei Handbedienungen, Pedalverlegungen, Multifunktionsdrehknöpfen usw. ist das auch gar kein Problem. Bei aufwendigeren Umbauten, wie zum Beispiel Heck- und Bodenausschnitten, Unterflurliften usw. sieht das schon anders aus. Immer dann, wenn wir mit den Umbaumaßnahmen in die Nähe der Akkus kommen, die ja meistens in der Bodengruppe verbaut sind, wird es kritisch. Auch dafür haben wir schon viele Lösungen entwickelt, es gibt aber auch noch Lücken, bei denen ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor nach wie vor die einzige Alternative ist.

MOBITIPP: Ist denn zu erwarten, dass irgendwann alle Umbauten, die bei Autos mit Verbrennungsmotor möglich sind, auch bei Stromern vorgenommen werden können?

Frank Rösner: Wenn man sich anschaut, mit wie viel Kreativität, Einsatz und Fachwissen es den Mitgliedsbetrieben des VFMP gelungen ist, auch Menschen mit sehr wenigen motorischen Möglichkeiten und Restkräften das Autofahren zu ermöglichen, bin ich zuversichtlich, dass wir das auch bei Elektroautos ohne Einschränkungen schaffen werden. Aber wie bereits gesagt befindet diese Technik sich noch im Aufbau, deshalb ist da eine hohe Dynamik in diesem Prozess. Es ist derzeit nicht genau absehbar, welche Veränderungen und Möglichkeiten es bei der Antriebs- und Akkutechnik noch geben wird.

MOBITIPP: Diese Dynamik können oder wollen viele Menschen mit Behinderung nicht abwarten, weil sie jetzt oder sehr bald ein neues Auto brauchen und dieses dann auch lange fahren müssen. Wie sollten die sich verhalten?

Frank Rösner: Das sollte man im Einzelfall genau analysieren, aber ich würde im Zweifel derzeit zu einem Auto mit Verbrennungs- oder Hybridmotor raten. Selbst wenn viele Autohersteller angekündigt haben, dass sie die Produktion von Verbrennern bis 2030 einstellen werden, laufen dann aber eben auch erst die letzten Modelle dieser Art vom Band. Bei einer durchschnittlichen Nutzungsdauer von neun Jahren, die so ein Fahrzeug hat, wird es mindestens bis 2040 oder sogar darüber hinaus auch die entsprechende Infrastruktur noch geben.

MOBITIPP: Allerdings wird doch damit zu rechnen sein, dass Autos mit Verbrennungsmotor mehr und mehr sanktioniert werden, zum Beispiel durch Fahrverbote in bestimmten Bereichen oder hohe Preise für Benzin und Diesel.

Frank Rösner: Von solchen Sanktionen sind Menschen mit Behinderung ja schon jetzt ausgenommen, und das wird aus meiner Sicht auch in Zukunft so bleiben. Das deutsche Antidiskriminierungsgesetz lässt da gar keine andere Möglichkeit zu. Solange wir Menschen mit Behinderung keine gleichberechtigten Möglichkeiten anbieten können, um elektrisch mobil zu sein, müssen für sie Ausnahmeregelungen für Autos mit Verbrennungsmotor gelten.

MOBITIPP: Wie steht es denn mit dem Wiederverkaufswert, wenn niemand mehr ein Auto mit Verbrennungsmotor haben möchte? Würde sich da nicht eher Leasing anbieten?

Frank Rösner: Leasing halte ich derzeit sowohl bei Verbrennern als auch bei Stromern für eine interessante Möglichkeit, um die Unwägbarkeiten der verschiedenen Märkte abzufangen. Wir haben ja noch keinen echten Markt für gebrauchte Elektroautos und können deshalb nicht sagen, wie der sich entwickeln wird. Sollte die Akkutechnologie tatsächlich noch erhebliche Fortschritte machen, kann es sein, dass Autos von heute sich in vier, fünf Jahren kaum noch verkaufen lassen.

Für Menschen mit Behinderung, die den Fahrzeugumbau gefördert bekommen, ist Leasing allerdings keine Option. Ein solcher Umbau wird nur dann ganz oder teilweise von den Kostenträgern übernommen, wenn der Antragsteller Eigentümer des Fahrzeugs ist, und das ist beim Leasing nicht der Fall. Auch hier rufen wir die Politik auf, dem Wandel des Marktes rasch Rechnung zu tragen und entsprechende Lösungen anzubieten, damit Menschen mit Behinderung nicht benachteiligt werden.

MOBITIPP: Bisher gilt, dass ein Auto, dessen behindertengerechter Umbau gefördert wurde, bis zu zehn Jahre gefahren werden muss, bis ein neuer Umbau beantragt werden kann. Halten Elektroautos überhaupt so lange?

Frank Rösner: Da sehe ich überhaupt kein Problem. Im Gegenteil sind Elektroautos gegenüber solchen mit Verbrennungsmotor eher im Vorteil, weil sie viel weniger Verschleißteile haben. Tesla zum Beispiel hat mit seinen Fahrzeugen eine realistische Fahrleistung von fast zweieinhalb Millionen Kilometern, auch bei den Akkus.

MOBITIPP: Ein großes Problem bei der Umstellung auf elektrische Antriebe stellt allerdings bisher die Ladeinfrastruktur dar. Erst kürzlich hat der VFMP die Verantwortlichen aus Industrie und Politik dazu aufgerufen, hier auf Barrierefreiheit zu achten. Sehen Sie da bereits Fortschritte?

Frank Rösner: Zunächst einmal finde ich es bei allem Pioniergeist, der gerade in Bezug auf Elektroautos aufkommt, höchst erstaunlich, dass die Belange von Menschen mit Behinderung und Senioren beim Aufbau der Ladeinfrastruktur bisher weitestgehend vergessen wurden. Es ist keine Frage, dass aufgrund der vielen gesetzlichen Vorgaben am Ende sowieso alles barrierefrei sein muss, nicht nur hier bei uns in Deutschland, sondern in ganz Europa und vielen anderen Ländern der Welt. Da wäre es viel einfacher und viel billiger gewesen, diese Anforderungen von Anfang an zu berücksichtigen.

Inzwischen scheint das Thema aber nach und nach auf einigen wichtigen Ebenen angekommen zu sein. Siemens hat auf der IAA aktiv damit geworben, nun gemeinsam mit dem Behindertenaktivisten Raul Krauthausen barrierefreie Ladesäulen entwickeln zu wollen. Der eine oder andere Landesverkehrsminister hat sich bei einigen unserer Mitgliedsbetriebe ausführlich über dieses Thema informiert. Und ich hoffe, dass auch das Bundesverkehrsministerium sich möglichst rasch mit der barrierefreien Ladeinfrastruktur beschäftigt sobald die neue Regierung gebildet ist.

MOBITIPP: Bis es so weit ist, sollten Menschen mit Behinderung also besser auf ein Elektroauto verzichten?

Frank Rösner: Auch hier gilt es, der Entscheidung eine gründliche Nutzungsanalyse voranzustellen. Wer sein Auto zu Hause auf seinem Grundstück laden kann und selten längere Strecken fährt, kann bedenkenlos auch ein Elektroauto fahren. Wer hingegen stets öffentliche Ladesäulen in Anspruch nehmen muss, braucht Improvisationstalent und Geduld. Dabei spielt auch ein Faktor eine wichtige Rolle, der in der öffentlichen Diskussion bisher kaum beachtet wurde. Die Ladekabel wiegen zum Teil vier, fünf Kilogramm und sind deshalb für Menschen mit wenig Restkräften wie etwa Tetraplegiker oder Senioren zu schwer, um sie ohne fremde Hilfe handhaben zu können. Auch das An- und Abkoppeln der Stecker am Fahrzeug und den Ladesäulen erfordert eine gewisse Kraft, die nicht jeder aufbringen kann.

MOBITIPP: Die Rehamessen waren bisher immer eine gute Gelegenheit für viele Menschen mit Behinderung verschiedene Fahrsysteme auszuprobieren. Wie können Interessenten derzeit herausfinden, ob sie mit einem Elektroauto zurechtkommen?

Frank Rösner: Viele unserer Mitgliedsbetriebe haben entsprechende Fahrzeuge im Fuhrpark, die Interessenten sich vor Ort anschauen und ausprobieren können, selbstverständlich unverbindlich und kostenlos. Einige haben auch behindertengerecht umgebaute Elektroautos in ihrer Mietwagenflotte, die man gegen eine geringe Gebühr für einen gewissen Zeitraum nutzen kann. Zumindest bei den Standardumbauten ist es deshalb problemlos möglich, auch außerhalb von Messen die neueste Technik kennenzulernen.

MOBITIPP: Vor allem Nutzer von Elektrorollstühlen sind oft auf Vans und Transporter angewiesen. Diese haben aber in der elektrischen Version wegen der schweren Akkus nur noch wenig Zuladung, sodass die im Führerschein vorgeschriebene Höchstlast von 3,5 Tonnen schnell überschritten wird. Müssen Nutzer von großen, schweren E-Rollis nun alle einen LKW-Führerschein machen, um mobil zu bleiben?

Frank Rösner: Im Moment ist das leider tatsächlich so. Das ist ein typisches Beispiel dafür, wo ich Autos mit Verbrennungsmotor derzeit noch für alternativlos halte. Allerdings haben wir vom VFMP bereits an den entsprechenden Stellen auf das Problem hingewiesen und wir hoffen darauf, dass es da eine schnelle und unbürokratische Lösung geben wird. Handwerksbetriebe haben nämlich dasselbe Problem, wenn sie ihre elektrisch betriebenen Fahrzeuge mit Werkzeug und Material ausstatten. Für sie wurde von der EU die Gewichtsgrenze im Führerschein von 3,5 auf 4,25 Tonnen Gesamtgewicht angehoben. Das wäre auch für Menschen mit Behinderung eine gute Lösung.

MOBITIPP: Herr Rösner, wir danken Ihnen für das Gespräch.

 

Das Interview führte Volker Neumann

 

 

 

Der VFMP e.V.

Der Verband der Fahrzeugumrüster für mobilitätseingeschränkte Personen in Deutschland e.V. (VFMP) wurde 2004 gegründet. Der VFMP vertritt die Interessen von Kfz-Umrüstunternehmen sowie von Herstellern von Umrüstsystemen für Menschen mit Behinderung. Dem Verband gehören 27 Mitgliedsbetriebe an, die alle auf der Internetseite www.vfmp.de aufgeführt sind. Mit Frank Rösner ist derzeit der Geschäftsführer von Kadomo aus Hilden bei Düsseldorf der 1. Vorsitzende.

www.vfmp.de

(Text: Volker Neumann)

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