Kilian Schneider: Im E-Rollstuhl zurück in die Weinberge

Der Winzermeister aus dem badischen Schelingen hat wieder Anschluss an sein bisheriges Berufsleben gefunden.

Seine Weinberge im Kaiserstuhl hatte Kilian Schneider nach einer Gehirnblutung 2017, die zu einer Lähmung der linken Körperseite führte, verpachtet. Doch bald danach fand der 62-Jährige einen Weg, seinen Beruf wieder auszuüben und sogar zwei kleinere Rebstücke in der Oberbergener Baßgeige zu bewirtschaften. MOBITIPP sprach mit dem langjährigen Präsidenten des Badischen Weinbauverbandes über seine Rückkehr in einen neuen Alltag.
Mann im Rollstuhl neben einem Weinfass
© Karin Mayer / Winzergenossenschaft Oberbergen eG
Rollstuhl statt Schlepper
Winzermeister Kilian Schneider mit einer Mitarbeiterin der Vinothek der Winzergenossenschaft Oberbergen.

MOBITIPP: Herr Schneider, wie geht es Ihnen heute, gut dreieinhalb Jahre nachdem Sie eine Gehirnblutung erlitten haben?

Kilian Schneider: Gemessen an dem, wie es mir unmittelbar nach der Gehirnblutung erging, geht es mir recht gut. An diesem Tag im August 2017 wollte ich morgens aufstehen und konnte mich nicht mehr bewegen. Ich konnte nicht sprechen, nicht schlucken, nicht sitzen. Das alles musste ich wieder lernen. Es gab auch Rückschläge, eine starke Lungenentzündung zum Beispiel, und gehirnbedingte Herzrhythmusstörungen, die einen weiteren Klinikaufenthalt erforderten.

Ich bin jetzt linksseitig gelähmt und zu 100 Prozent schwerbehindert. Draußen bin ich auf den E-Rollstuhl angewiesen. Im Haus bewege ich mich in einem Aktivrollstuhl fort. Inzwischen kann ich einige Schritte am Stock gehen und sogar die Treppen zu unserer Wohnung steigen. Jetzt kommt regelmäßig eine Physiotherapeutin ins Haus und ich hoffe auf weitere Fortschritte.

MOBITIPP: Wie haben Sie den Wiedereinstieg ins Berufsleben geschafft?

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Kilian Schneider: Das hat eine ganze Weile gedauert. Zunächst einmal haben meine Frau und ich 2018 unseren 10 Hektar großen Weinbaubetrieb verpachtet. Mein Cousin hat unsere Weinberge übernommen. Unterdessen habe ich vor allem bei der Mobilität Fortschritte gemacht, sodass ich den Blick nach vorne richten konnte.

MOBITIPP: Was waren denn Meilensteine in den letzten Jahren?

Kilian Schneider: Gleich als ich nach der Klinik und der Reha zu Hause war, lief im Fernsehen eine Sendung mit Para-Skifahrern, die ihren Sport auf einem Bein und mit einer Beinprothese ausübten. Das hat mich interessiert. Bis dahin bin ich mit meinem linken Bein ständig umgeknickt, weil ich darüber keine Kontrolle habe. Wäre es dabei zu einer Bänderdehnung gekommen, hätte ich das Laufen vergessen können. Nach der Sendung habe ich ein Orthopädietechnikunternehmen in Bad Krozingen kontaktiert, das mir zu einer Carbonfederorthese verholfen hat. Dieses Hilfsmittel stabilisiert mich und gibt mir beim Auftreten Sicherheit.

Ein anderer Meilenstein war der Elektrorollstuhl, den ich 2019 von der Krankenkasse bekommen habe. Mit dem Meyra Optimus 2 habe ich jetzt ein stabiles Fahrzeug, mit dem ich sogar in die Weinberge fahren kann. Seit ich diesen E-Rollstuhl habe, bin ich ein ganz anderer Mensch.

MOBITIPP: Was hat sich dadurch verändert?

Kilian Schneider: Ich konnte weitgehend in mein gewohntes Leben zurückkehren. Für Erledigungen beim Arzt, bei der Bank oder beim Einkaufen brauche ich jetzt keine Begleitung mehr. Für längere Fahrten nutze ich einen Fahrdienst. In das umgerüstete Fahrzeug kann ich mit dem E-Rollstuhl hineinfahren. Das ist wie Taxi fahren.

Durch den E-Rollstuhl kann ich auch meinen Beruf wieder ausüben, wenn auch natürlich nicht wie zuvor. Meine Frau meinte, dass ich doch mal in die Weinberge fahren könne. Das ging prima und so habe ich zwei kleinere Weinberge – ein Rebstück Müller-Thurgau und ein Rebstück Spätburger – zurückgepachtet.

MOBITIPP: Wie bewirtschaften Sie diese Flächen?

Kilian Schneider: Als Mitglied der Genossenschaft liefern wir unsere Trauben an die Genossenschaft Oberbergen, die daraus die Weine produziert und sie vermarktet. Die Schlepperarbeiten, zu denen die Bodenbearbeitung und der Pflanzenschutz gehören, übernimmt mein Cousin. Ich mache, was mir noch möglich ist. Mein Wissen aus über 40 Jahren Weinbau kann ich jedenfalls noch gut nutzen.

Ich stehe der Genossenschaft als Berater zur Verfügung. Hier sind rund 400 Winzerfamilien zusammengeschlossen. Ich fahre in die Weinberge und schaue, ob die Bewirtschaftung nach den genossenschaftlichen Vorgaben erfolgt. Ich beantworte Fragen und gebe Tipps.

MOBITIPP: Was zeichnet die Weine im Kaiserstuhl aus?

Kilian Schneider: Die Trauben stammen aus Rebstöcken, die in einem Boden vulkanischen Ursprungs mit leichtem, hellgelbem Lößboden verwurzelt sind. In der Oberbergener Winzergenossenschaft haben wir 70 verschiedene Weine aus unterschiedlichen Rebsorten und Ausbaustilen. Der wohl bekannteste Wein ist der Grauburgunder. Wir haben auch aromatische Sorten wie Gewürztraminer und Muskateller.

Der Klimawandel ermöglicht den Anbau südlicher Rebsorten, die vor 30 Jahren bei uns noch nicht gereift wären – Sauvignon Blanc oder Cabernet Sauvignon zum Beispiel. Da ist für jeden Geschmack etwas dabei.

MOBITIPP: Sie waren viele Jahre Präsident des Badischen Weinbauverbandes und haben Ihr Amt auf eigenen Wunsch aufgegeben. Wie ist es für Sie, auf diese Tätigkeit zu verzichten?

Kilian Schneider: Die Entscheidung ist mir nicht leicht gefallen. Das Amt des Präsidenten ist ein politisches Amt und die Politik lässt mich noch immer nicht ganz los. Der Rückzug war aber unumgänglich. Jetzt bin ich auch irgendwie froh, weil ich mich nicht mehr um jede Kleinigkeit kümmern muss. Dafür engagiere ich mich etwas stärker in der Politik, genauer gesagt, in der FDP. Für Ämter kandidiere ich nicht mehr. Aber den Bezug zur Politik brauche ich. Das macht mir einfach Spaß. Und so, wie es jetzt ist, funktioniert es problemlos.

MOBITIPP: Noch einmal zurück zum Anfang: Was hat Sie denn angetrieben, wieder nach vorne zu schauen und sich etwas zuzutrauen?

Kilian Schneider: Anfangs konnte ich meine Situation gar nicht richtig einschätzen. Ich bin ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass ich wieder völlig gesund werde. Dann gab es eine schmerzhafte Erkenntnis. Danach habe ich mir gesagt: Es ist einfach passiert, ich habe nichts falsch gemacht. Ich bin nicht der Erste und nicht der Letzte, dem so etwas widerfährt. Und anders als bei mancher anderen Krankheit stehen die Chancen gut, dass es aufwärts geht.

Aufgebaut haben mich vor allem die bald täglichen Fortschritte und wenn sie noch so klein waren. Am schlimmsten war es ohnehin für meine Frau, die sich plötzlich um einen behinderten Mann und einen großen Betrieb kümmern musste.

MOBITIPP: Wie hat Ihr Umfeld auf Sie reagiert, als Sie plötzlich im Rollstuhl saßen?

Kilian Schneider: Wenn ich bei den Sonntagsverkäufen in der gleichen Weste wie die anderen Genossenschaftsmitglieder mit Namen und Berufsbezeichnung im Rollstuhl saß, wurde ich nie von Besuchern angesprochen. Das war eine neue Erfahrung. Wenn ich den Kontakt gemacht habe, war sofort alles wie immer. Ich freue mich jedenfalls auf alle Menschen, die bei uns nach der Pandemie vorbeikommen und unseren Wein verkosten wollen.

 

Wer sich für die Oberbergener Baßgeige und die Oberbergener Winzergenossenschaft mit ihrer Weinvielfalt interessiert, findet hier weitere Informationen: https://www.bassgeige-wein.de

(Text: Julia Wagner)

Mann im Rollstuhl neben einem Weinfass
Rollstuhl statt Schlepper
© Karin Mayer / Winzergenossenschaft Oberbergen eG
Winzermeister Kilian Schneider mit einer Mitarbeiterin der Vinothek der Winzergenossenschaft Oberbergen.

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