Wheelchairskaten zwischen Stabilität und Bewegungsfreiheit

Rollstuhlskater Marcel Hoffmann über das Sitzen im Sport und im Alltag

Marcel Hoffmann hat seinen Sport gefunden: das Wheelchair-Skaten. Diesen angesagten Actionsport für Rollstuhlfahrer mit seinen Tricks und Runs kann er auch mit seiner hohen Querschnittlähmung (Th 4/Th 5) ausüben. Um möglichst ohne Blessuren über Kanten, Treppen und Rampen zu kommen, ist es wichtig, optimal in seinem Sportgerät zu sitzen. Marcel Hoffmann, Rider-Name HOFFAEX, gibt MOBITIPP einen Einblick in seine Erfahrungen, das beste Sitzsystem für Sport und Alltag für sich zu finden.
Rollstuhlfahrer im Skatepark beim Wheelchairskaten
©DRS / Fabienne Karmann
Marcel Hoffmann bei dem WCMX Berlin Open im März 2022

Sitzen und Skaten sind kein Widerspruch. Diese Entdeckung hat den Rollstuhlfahrerinnen und -fahrern eine weitere coole Sportart beschert: das Rollstuhlskaten oder Wheelchair Skating. WCMX steht für Wheelchair Motocross, angelehnt an Bicycle Motocross. Die Sportart passt für alle, die Spaß an der Bewegung haben, einen gewissen Nervenkitzel schätzen und zu einer coolen Community gehören wollen. Das Alter spielt dabei keine Rolle.

Skaten und Reisen

„In den Skateparks, vor allem bei den WCMX-Treffen, tummeln sich Rollstuhlskater im Alter von 1 bis 70 Jahren“, sagt Marcel Hoffmann, Erster stellvertretender Fachbereichsleiter WCMX im Deutschen Rollstuhl-Sportverband e.V. (DRS). Der 38-jährige gebürtige Schweriner betreibt den Sport in erster Linie am Wochenende. Meistens ist er in den Skateparks in seinem jetzigen Wohnort Hamburg unterwegs, vor allem in den Skateparks in Hamburg-Allermöhe oder im Wilhelmsburger Inselpark, wo der DRS 2018 die erste Deutsche WCMX-Meisterschaft austrug.

Rollstuhlskaten übersetzt die coolen Tricks von BMX-ern und Skatern mit ihren Boards für Sportler im Rollstuhl. Erfunden hat die Sportart der US-Amerikaner Aaron Fotheringham. Der mehrfache WCMX-Weltmeister ist vor allem für seine spektakulären Back- und Frontflips im Rollstuhl hoch in der Luft bekannt. 2016 trat er bei der Eröffnungsfeier der Sommer-Paralympics in Rio de Janeiro auf und brachte die Welt zum Staunen. Auf YouTube gibt es eine Menge Videos von ihm und anderen Ridern zu sehen.

Skills für den Alltag

Bei Marcel Hoffmann war es weniger die Akrobatik, die ihn vor einigen Jahren zu diesem Sport brachte. Obwohl er schon „Bock auf Rampen“ hatte, überzeugte ihn vor allem die Aussicht, beim Rollstuhlskaten Fertigkeiten zu erwerben, die auch im Alltag nützlich sein können: „Trotz aller Bekenntnisse zur Barrierefreiheit stoßen mobilitätseingeschränkte Menschen immer noch auf viele Hürden im öffentlichen Raum, wie Treppen, hohe Kanten, schwierige Bodenbeläge. Da hilft es sehr, wenn man seinen Rollstuhl sicher beherrscht.“ Was ihm auch gefällt: Skater sind nicht wie Fußballer und andere Sportler an feste Hallenzeiten gebunden. „Man kann spontan zum nächstgelegenen Skatepark fahren und mitmachen. Das ist eine große Freiheit.“

Im Rollstuhl sitzt Marcel Hoffmann seit August 2004. Der damals 19-jährige Auszubildende zum Elektroinstallateur war auf dem Rückweg von Hamburg nach Schwerin, als er als Beifahrer im Firmentransporter schwer verunglückte. Diagnose: Querschnittlähmung TH 4/TH5. Die Ausbildung beendete er noch im Rollstuhl. „Weil klar war, dass ich diesen Job nicht mehr richtig ausüben kann, habe ich noch eine Zusatzausbildung zum technischen Betriebswirt gemacht und kann jetzt handwerkliche Aspekte von verwalterischer Seite beurteilen und unterstützen.“ Heute arbeitet er im Gebäudemanagement eines Hamburger Bezirksamts.

Stabilität und Bewegungsfreiheit

Für seinen Sport nutzt Marcel Hoffmann einen Sportrollstuhl der brasilianischen Marke Jumper, für den die Berufsgenossenschaft die Kosten übernommen hat. Zusätzlich hat er noch in ein Wakeboard und in einen Wasserski-Sitz investiert. Natürlich gibt es auch noch einen Alltagsrollstuhl. Für diesen sucht er gerade ein Nachfolgemodell, da dieser zu breit geworden ist: „Ein Rollstuhl muss wie ein Turnschuh sitzen.“

„Richtig sitzen“ bedeutet für Marcel Hoffmann zunächst einmal, das richtige Sitzsystem zu haben: Rollstuhl, Sitzkissen, Rückenhalt. „Mit meiner Lähmungshöhe benötige ich einerseits auch für den Rücken besonders große Stabilität. Andererseits ist es zum Beispiel im WCMX-Sport entscheidend, ausreichend Bewegungsfreiheit für die Tricks zu haben.“

Für den sportlichen Jumper ließ sich Marcel Hoffmann zunächst eine maßgeschneiderte Carbon-Rückenschale anfertigen. Dazu wurde der Rücken mit einem 3D-Scan genau erfasst. „Der Seitenhalt fühlte sich gut an. Letztlich fast zu gut, weil mich der Halt beim Skaten eher wieder eingeschränkt hat.“ Also ließ er die festen Pelotten zum Abnehmen umbauen und brachte zwischenzeitlich die originale Jumper-Rückenbespannung an. Eine Ausprobierphase mit noch offenem Ende.

Beim Wasserskisitz nutzte Marcel jahrelang eine Sitzschale. Doch letztlich saß er darin nach eigenen Worten so instabil, dass Kursleiterin Gerda Pamler beim jährlichen Wasserskicamp des DRS feststellte, dass er wohl eher der „Wasserskicage”-Typ denn der „Rückenschalen“-Typ sei. Die Seitenrohre des Cages bieten ihm bei diesem System den erforderlichen Seitenhalt.

Sitzkissen individualisiert

Druckstellen hingegen sind für ihn zwar kein großes Problem wie er es von vielen anderen seiner Sportkameradinnen und -kameraden kennt: „Ich bin, was das Sensorische anbelangt, ein inkompletter Querschnitt. Das hat den Vorteil, dass ich sofort gegensteuern kann, wenn ich ein leichtes Brennen auf der Haut verspüre.“ Dennoch arbeitet er auch daran, das optimale Sitzkissen zu finden: Das Seriensitzkissen des Jumpers erwies sich als zu weich. Er ließ dann ein Sitzkissen mit einem härteren Schaumstoff anfertigen, mit einem Inlay aus einem weicheren Material an den neuralgischen Stellen, den Sitzbeinhöckern. Optimal ist diese Lösung noch immer nicht: „Jetzt überlege ich gerade, ob ich an diesen Stellen nicht doch noch mal mit einem härteren Material arbeite.“

Doch unabhängig davon, wie gut die Rückenlehne oder das Sitzkissen passen, „muss man trotzdem immer wieder sein Gesäß entlasten. Ich setze mich zum Beispiel auf die vordere Kante meines Sitzkissens und setze mich möglichst gerade hin oder strecke mich durch. Bei meiner Physiotherapie kann ich mich auch mal hinstellen und mich aufdehnen. Dann lernen auch die Gelenke mal wieder eine andere Position kennen, das ist für mich gerade besonders wichtig.“

 

Zur WCMX-Webseite des Deutschen Rollstuhlsportverbands kommt Ihr unter diesem Link: https://wcmxgermany.de

(Text: Brigitte Muschiol)

Rollstuhlfahrer im Skatepark beim Wheelchairskaten
Marcel Hoffmann bei dem WCMX Berlin Open im März 2022
©DRS / Fabienne Karmann
Titelbild des Mobitipp mit einem Rollstuhlfahrer der den Daumen hoch hält

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