Der erste Schritt zu einem Urlaub ohne Eltern ist ein Urlaub mit Eltern. Was sich so einfach und selbstverständlich anhört, ist in der Praxis oftmals schon eine wesentliche Hürde. Obwohl es in den letzten Jahren immer mehr und immer bessere barrierefreie Urlaubsangebote gibt, bleiben viele Familien mit behinderten Kindern doch lieber zu Hause. Das gewohnte Umfeld, die eingespielten Abläufe und die vertraute Infrastruktur aus Ärzten und Therapeuten verheißen mehr Sicherheit und Erholung als das unbekannte Erlebnis in der Fremde.
Natürlich kann tatsächlich nicht jeder einfach so in den Urlaub fahren. Oftmals sind die Reisepläne mit einem erheblichen organisatorischen Aufwand verbunden – und trotz bester Planung wird garantiert einiges schiefgehen. Trotzdem, oder besser gerade deshalb lohnt es sich. Denn zur Inklusion muss auch derjenige beitragen, der vorher ausgeschlossen wurde oder sich so gefühlt hat. Wer seinem Kind mit auf den Weg gibt, dass mit und dank ihm alles kompliziert bis unmöglich ist, macht es ihm schwer, für sich einen Platz in der Mitte der Gesellschaft zu sehen und zu finden.
Breites Angebot an Familienreisen
Das Angebot an behindertengerechten Urlaubsmöglichkeiten ist in den vergangenen 20 Jahren sehr viel größer geworden. Selbst für Menschen mit hohem Assistenzbedarf gibt es inzwischen hochwertige Urlaubsangebote. Viele Hotels, insbesondere solche von Hotelketten, halten inzwischen rollstuhlgerechte Zimmer bereit. Das ist selbst bei vielen Billighotels so. Bei einigen Reiseportalen im Internet kann man die Kategorie „barrierefrei“ anklicken und so die Auswahl entsprechend qualifizieren. Hinzu kommen eine Reihe von Anbietern, die sich auf Reisen für behinderte Menschen spezialisiert haben. Wer sich schlaumacht, findet also auch ein passendes Ziel.
Wenn ein Kind erfahren hat, dass ein Urlaub grundsätzlich möglich ist und auch weiß, wie er in etwa abläuft, wird es ihm leichter fallen, sich vorzustellen, einmal alleine wegzufahren. Ab welchem Alter das angeraten ist, lässt sich nicht allgemein beantworten. Neben der Reife und Bereitschaft des Kindes sowie seiner Behinderung kommt es natürlich auch auf die Urlaubsreise selbst an. Schon ein paar Tage bei Verwandten oder Freunden können allen Beteiligten interessante Erfahrungen bescheren – unter anderem auch die, dass das Kind in einer fremden Umgebung auch mal ohne seine Eltern zurechtkommt.
Bis zu zwei Autostunden sind erst mal genug
„Irgendwann sollte dann aber auch mal eine Reise mit einem Reiseveranstalter und ganz ohne Eltern folgen“, rät Jens Krümmel, der selbst seit seiner Kindheit Rollstuhlfahrer ist und heute behindertengerechte Kinder- und Jugendreisen als Betreuer begleitet. Der Experte, der selbst schon früh alleine unterwegs war, sieht darin zahlreiche Vorteile: „Auch behinderte Kinder wollen sich ausprobieren und Eigenverantwortung übernehmen. Auf einer Reise ohne ihre Eltern lernen sie, sich in ein Team einzufügen und selbstständiger zu handeln.“ Das sind wichtige Erfahrungen auf dem Weg in ein später möglichst selbstständiges Leben.
Dabei sollten die Eltern der Versuchung widerstehen, zum Beispiel auf Klassenfahrten als Begleiter mitzufahren. Ein Geschwisterkind kann hingegen eine gute Lösung sein, zumal wenn die beiden auch im Alltag viel gemeinsam unternehmen. Aber selbst ein möglicherweise vertrauter Assistent kann für die Zeit des Urlaubs ruhig mal gegen einen unbekannten Begleiter ausgetauscht werden. „Es ist wichtig, den Kindern etwas zuzutrauen“, stellt der Experte fest. Damit die ersten Versuche nicht im Desaster enden und letztlich den gegenteiligen Effekt haben, sollte man sich nicht zu hohe oder besser ferne Ziele stecken. Eine Entfernung von maximal zwei Autostunden gibt den Eltern und dem Kind das gute Gefühl, dass man den Versuch zur Not auch ohne größeren Aufwand abbrechen könnte.
Reisen für Körperbehinderte immer integrativer
Ob die Eltern und das Kind sich für eine spezielle Behindertenreise oder für eine integrative Reise entscheiden sollten, hängt ebenfalls von zahlreichen Faktoren ab. Insbesondere für körperbehinderte Kinder gibt es kaum noch überregionale Anbieter, weil inzwischen zahlreiche kirchliche und öffentliche Veranstalter von Kinder- und Jugendfreizeiten auch Plätze für diese Zielgruppe eingeplant haben. Insbesondere wenn die mitreisenden nicht behinderten Kinder keine oder wenig Erfahrungen mit behinderten Menschen haben, kann eine solche Reise eine gewisse Herausforderung sein. Im Sinne der Inklusion werden letztlich aber alle Beteiligten davon profitieren.
Aber auch Reisen speziell für behinderte Kinder sind eine wertvolle Erfahrung. Für geistig behinderte Kinder werden solche Reisen in großer Zahl angeboten, zum Beispiel von der Lebenshilfe. Für körperbehinderte Kinder ab sechs Jahren ist YAT Reisen (www.yat-reisen.de) einer der wenigen überregionalen Anbieter. Wichtig ist in jedem Fall, dass man vor der Buchung mit dem jeweiligen Veranstalter ganz genau abklärt, ob die räumlichen Gegebenheiten und die Betreuung für das Kind ausreichen. Achtung: Hier sollten Eltern nicht zu kritisch sein, um vermeintlich nicht akzeptable Bedingungen als Alibi für das Verhindern der Reise zu nutzen.
Und wer soll das bezahlen?
Insbesondere wenn man sich für einen spezialisierten Anbieter entscheidet, kann eine Urlaubsreise für das behinderte Kind sehr teuer werden. Es gibt aber durchaus Möglichkeiten von Zuschüssen durch die Kostenträger. Detaillierte Informationen dazu erhalten Eltern bei ihrer Krankenkasse, aber auch die spezialisierten Reiseveranstalter bieten oftmals einen entsprechenden Beratungsservice an.
Einen Blick kann die Webseite www.bag-familienerholung.de wert sein. Die Familienferienstätten der Bundesarbeitsgemeinschaft Familienerholung sind gemeinnützige Einrichtungen und wenden sich besonders an Familien mit kleinen oder mittleren Einkommen. Sind alle Voraussetzungen erfüllt, bietet gut die Hälfte der Bundesländer seinen Einwohnern Individualzuschüsse an. Auf der Internetseite gibt es eine Liste mit barrierefreien Familienferienstätten.
Für Familien mit schwerstkranken Kindern ermöglichen einige Kinderhospiz-Einrichtungen Familien ein paar Tage Auszeit. Es empfiehlt sich hier die Suche im Internet. Der Verein Hände für Kinder e.V. in Hamburg bietet Familien (und Alleinerziehenden) mit Kindern und Jugendlichen, die mit einer „maßgeblichen Behinderung” leben, unter bestimmten Voraussetzungen ein Kurzzeit-Zuhause zur Erholung an (www.haendefuerkinder.de).