Andi Weiland: „Wir können auch neue Bilder lernen“

Der Berliner Journalist und Fotograf ist Initiator der Online-Fotodatenbank www.gesellschaftsbilder.de.

Andi Weiland ist für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Sozialhelden e.V. in Berlin verantwortlich. Der Fotograf und Journalist hat die Fotodatenbank www.gesellschaftsbilder.de ins Leben gerufen. Der 35-Jährige will durch authentische Fotos für Medienschaffende den Blick auf Menschen *), die zum Beispiel mit einer Behinderung leben, verändern.
Mann mit Bart und Kamera der Menschen mit Downsyndrom ein soeben gemachtes Bild zeigt
© Jörg Farys
Mit Fotos die Gesellschaft verändern
Andi Weiland hat in Münster und im rumänischen Klausenburg Politikwissenschaft und Kommunikation studiert. Seit 2011 ist er Pressesprecher bei Sozialhelden e.V. in Berlin. Außerdem arbeitet er als freier Fotograf.

MOBITIPP: Herr Weiland, Sie sind selbst Fotograf. Wie sind Sie denn auf den Gedanken gekommen, der Medienwelt kostenfreie Profi-Fotos zur Verfügung zu stellen?

Andi Weiland: Der Mitbegründer des gemeinnützigen Vereins Sozialhelden, Raúl Krauthausen, hat vor mehreren Jahren unser Team-Projekt Wheelmap.org – eine Online-Karte für barrierefreie Orte – der Öffentlichkeit vorgestellt. Aus den Medienberichten darüber haben wir gelernt, wie schwer es für Nicht-Betroffene ist, die richtigen Worte und Bilder zu finden, wenn es um Menschen mit Behinderungen geht. Dafür wollten wir Lösungen entwickeln.

Den Anfang machte Leidmedien.de. Die Webseite bietet Redaktionen Beratung bei den Texten an. Wir kritisieren, sensibilisieren und schlagen alternative Formulierungen vor. Bei dem Schwesterprojekt www.gesellschaftsbilder.de konzentrieren wir uns auf die Fotos. Denn auch bei der Bildsprache hapert es. Sie arbeitet oft mit einer stereotypen Darstellung oder auch mit nicht-behinderten Models, die dann in einem Rollstuhl sitzen.

MOBITIPP: Sind die Fotos immer kostenfrei?

Andi Weiland: Für redaktionelle Berichte von Journalistinnen und Journalisten, von Bloggerinnen und Bloggern und allen, die klischeefreie Fotos für Artikel benötigen, sind die Fotos kostenfrei. Für die kommerzielle Nutzung und Eigenwerbung gibt es verschiedene Lizenzmodelle, die auf der Webseite bei den Nutzungsbedingungen zu finden sind.

MOBITIPP: Wie groß ist die Auswahl in der Fotodatenbank?

Andi Weiland: Im Moment bieten wir etwa 3.000 Fotos an. Es sind alles hochwertige Profi-Fotos. Alle Fotografinnen und Fotografen verbindet ein bestimmtes Verständnis davon, was www.gesellschaftsbilder.de ausmachen soll. Ungewöhnlich ist auch, dass bei uns alle Menschen vor der Kamera ein Mitspracherecht haben, was die Darstellung ihrer Lebenswelt betrifft. Nur wenn unsere Fotos authentisch sind, erreichen wir die Akzeptanz von anderen Betroffenen und verbessern die Ausgangslage.

MOBITIPP: Was ist an den herkömmlichen Bildern und Fotos das größte Problem?

Andi Weiland: Im Gegensatz zur Sprache wirken Bilder unmittelbar auf uns. Man muss nicht einmal lesen können. Das führt dazu, dass man über die Aussagen von Bildern und Fotos weniger nachdenkt, zumal wir alle ja einer Bilderflut ausgesetzt sind. Bilder wirken oft unbewusst. Sie prägen dennoch unseren Blick auf die Gesellschaft.

In Deutschland sind zum Beispiel auf Werbefotos fast ausschließlich weiße, nicht behinderte Menschen bestimmter Altersklassen und Körpermaße zu sehen. Die Konsumenten verbinden damit Vorstellungen von dem, was gut und schön und erstrebenswert sein soll. Die Hersteller gehen davon aus, dass diese Bilder ihre Produkte verkaufen. Das ist gelernt und wird kaum infrage gestellt.

Menschen mit Behinderung, mit anderen Hautfarben als der weißen oder Menschen, die eine andere sexuelle Orientierung als die heteronormative haben, finden kaum statt. Das ist auch nur schwer zu ändern.

MOBITIPP: Warum?

Andi Weiland: Die Gruppen, die nicht gezeigt werden, haben meistens keine Stimme. Sie finden einfach nicht statt. Agenturen und Fotoproduktionen bleiben deshalb bei dem, was sie kennen. Umgekehrt wissen viele Menschen, die herkömmliche Bilder anschauen, nicht genau, welche gesellschaftliche Vielfalt und Bereicherung ihnen dadurch vorenthalten wird und vermissen sie daher nicht unbedingt.

MOBITIPP: Das ist praktisch ein Teufelskreis. Wie ließe er sich durchbrechen?

Andi Weiland: Das ist schwierig, aber möglich. Zunächst muss man sich bewusst machen, was auf den Fotos gezeigt wird und was nicht. Das schult einen kritischen Blick. Im nächsten Schritt müssten die Produzentinnen und Produzenten von Fotos diese bisher ausgeblendete Realität auf ihren Fotos zeigen. Wir können auf jeden Fall „neue Bilder” lernen. Wenn wir sensibel für die Defizite werden, können wir andere Bilder einfordern.

MOBITIPP: Bewegt sich denn gar nichts bei den Agenturen und Fotoproduzenten? Immerhin gibt es in den Medien häufiger Diskussionen über Inklusion oder People of Colour (PoC).

Andi Weiland: Herstellerinnen und Hersteller von Produkten für Menschen mit Behinderung setzen inzwischen deutlich mehr Models mit tatsächlicher Behinderung ein. Agenturen und Fotografen wehren Kritik aber immer noch ab. Da heißt es dann, dass man Behinderung nicht zeigen könne und dass die Betrachter diese Art von Fotos nicht verstehen würden. Leider werden Behinderung und Hilfsmittel noch immer stark mit negativen Vorstellungen verbunden. Der Rollstuhl steht eher für Entbehrungen anstatt für Unabhängigkeit und Mobilität. Diese Sichtweise muss sich verändern.

MOBITIPP: Was gibt Ihnen Hoffnung auf Veränderungen?

Andi Weiland: In den USA ist man da schon viel weiter. Bei Netflix-Produktionen spielen zum Beispiel queere oder kleinwüchsige Menschen ganz selbstverständlich mit, ohne ein Klischee bedienen zu müssen.

MOBITIPP: Wollt Ihr mit www.gesellschaftsbilder.de zeigen, dass es auch in Deutschland anders geht?

Andi Weiland: Ja, und zwar in zweifacher Hinsicht: Wir wollen Augenhöhe sowohl bei Bild- und Textsprache und als auch bei Veröffentlichungen erreichen. Dann steht zum Beispiel ein Mensch im Rollstuhl nicht mehr automatisch für die Barrierefreiheit eines Konzerthauses, sondern er wird als Besucher unter vielen abgebildet und beschrieben Dann kommen seine Themen als Teil der Belegschaft auch im Wirtschaftsteil vor. Dann fragen die Medienschaffenden auch nach dem Expertenwissen im Job und nicht nur zur Behinderung. So einfach und doch so schwer.

MOBITIPP: Vielen Dank für das Interview, Herr Weiland.

 

*) Gemeint sind stets alle Geschlechter.

 

 

Models gesucht!

Www.gesellschaftsbilder.de will noch mehr Vielfalt an Models und Lebensbereichen anbieten. Wer Lust hat, bei einem Fotoshooting mitzumachen, meldet sich per E-Mail: andi@sozialhelden.de.

 

 

Weitere Informationen:

Fotodatenbank: www.gesellschaftsbilder.de

Infos und Tipps für Texte: www.leidmedien.de

Über die Sozialhelden e.V. und ihre Projekte: www.sozialhelden.de

Persönliche Webseite von Andi Weiland: www.andiweiland.de.

(Text: Julia Wagner)

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