Richtiges Sitzen heißt für Rollstuhlfahrer in erster Linie, eine optimale Druckverteilung auf der jeweils genutzten Sitzgelegenheit zu erreichen. Trotzdem bleibt es eine Daueraufgabe für Betroffene, Angehörige oder Pflegepersonal, immer wieder rechtzeitig für ausreichende Druckentlastung sensibler Körperregionen zu sorgen. Sitzdruckmesssysteme können sowohl bei der Auswahl eines individuell geeigneten Kissens unterstützend wirken als auch eine dauerhafte und gut kontrollierte Lösung für den Alltag sein. Das gilt ebenfalls für Betroffene, die viel oder ständig liegen.
Druckmesssysteme hätten im klinischen Bereich und in der Reha-Versorgung deutlich an Akzeptanz gewonnen, sagt Jan Hermkens. Der Niederländer gehört zu den Pionieren auf dem Gebiet der Druckmessung zur Dekubitusvermeidung und vertreibt die Marke BodiTrak in Europa. Verbesserte Technologien ermöglichten einen flexibleren Einsatz. Zudem sei der Umgang mit computerbasierten Anwendungen heute auch in der Medizin und Rehabilitation selbstverständlich. Viele Paraplegiker-Zentren, Kliniken, Reha-Einrichtungen und manche Pflegedienste sind inzwischen mit Sitz- und Liegedruckmesssystemen ausgestattet.
Albert Föhrenbühler, Geschäftsführer der t-rv GmbH in Rheinstetten, die BodiTrak in Deutschland vertreibt, registriert auch eine steigende Nachfrage von Versorgern: „Sanitätshäuser müssen zum Beispiel immer mehr dokumentieren. Der Krankenkasse gegenüber hilft die Dokumentation von Sitzdruckmessungen, wenn es darum geht, die Notwendigkeit einer höherwertigen Versorgung zu begründen.“
Sitzdruckmessung verfeinert die Analyse
Eine Sitzdruckmessung funktioniert, in aller Kürze erklärt, folgendermaßen: Der Rollstuhlfahrer sitzt auf einer Sitzmatte mit integrierten Sensoren. Die Messdaten werden je nach System auf einem Computerbildschirm, Tablet oder auf einem Smartphone dargestellt. Für Laien am verständlichsten ist die Isobaren-Darstellung: Wie auf der Wetterkarte im Fernsehen zeigen Farbflächen die Druckverhältnisse zwischen Gesäß und Sitzfläche an. Rot bedeutet, dass hier ein besonders hoher Auflagedruck herrscht und damit eine besondere Dekubitusgefährdung besteht. Der Versorger kann nun zum Beispiel mehrere Sitzkissen austesten und/oder den Rollstuhl anpassen.
Eine Sitzdruckmessung ist nicht in jedem Fall zwangsläufig erforderlich. Sei es, weil eine einfache Versorgungslösung offensichtlich ausreicht oder weil ein erfahrener Versorger zur Seite steht. Dennoch lohnt es sich, sich mit den Druckmesssystemen auseinanderzusetzen, denn sie bieten weit mehr als eine Momentaufnahme. Sie ermöglichen bei einfacher Bedienung eine langfristige Kontrolle und beugen dadurch Druckstellen vor oder minimieren sie.
Dynamische Messung durch WiFi-Technologie
BodiTrak etwa bietet sowohl ein Sitzsystem und als auch ein Bettsystem in einer Vollversion für den Klinik- und Pflegebereich an. Für das Sitzsystem hat das Unternehmen zusätzlich eine Light-Version im Programm. „Das Messen funktioniert auf derselben Basis“, erklärt t-rv-Vertriebsleiter Guido Serwane. „Nur die Ergebnisse werden differenzierter ausgewertet.“ Bei der Light-Version ist das die Isobaren-Darstellung; bei der Vollversion bekommen die Anwender detaillierte Rückmeldung in Millimeter Quecksilbersäule pro Messfläche (mmHg). Auch die Dokumentation der Ergebnisse ist bei der Vollversion umfassender.
Zum System gehört eine Sensormatte aus hochelastischem Lycra mit integierten Leiterbahnen und integrierter Technik. Die Messdaten werden in Echtzeit kabellos per WiFi oder USB aufs Tablett oder Smartphone (Android, iOS ist in der Entwicklung) übertragen. Dadurch ist eine dynamische Messung möglich: Der Rollstuhlfahrer kann sich zum Beispiel eine Stunde lang frei bewegen und dabei beobachten, wie sich die Druckverhältnisse auf einem Sitzkissen verändern. Zusätzlich kann er eine Risikoanalyse über einen bestimmten Zeitraum abrufen und den Screenshot des Ergebnisses als PDF speichern.
Ausblick: Smartkissen und Smartbetten
In der häuslichen wie professionellen Pflege entlastet das BodiTrak-System die Pflegenden als Überwachungs- und Frühwarnsystem von der andauernden persönlichen Betreuung des Patienten: Die aktuellen Druckwerte werden ständig aufgezeichnet, analysiert und auf das Dekubitusrisiko bewertet. Erhöhte Druckwerte werden durch einen Alarm oder optisch angezeigt. Eine sofortige Umlagerung und nicht erst nach einem selbst definierten Rhythmus senkt das Dekubitusrisiko deutlich.
XSENSOR mit ihrer Marke ForeSite ist ebenfalls ein großer Anbieter von Druckmesssystemen in Deutschland und vor allem auf den medizinischen und industriellen Bereich spezialisiert. Wie nützlich ein Vergleich detaillierter Messdaten von Patienten sein kann, zeige sich in vielen Bereichen, sagt Vertriebsmitarbeiter Darius Mlocek. Bei Produktvorführungen und Schulungen für Klinikmitarbeiter stelle sich beispielsweise häufig heraus, dass therapeutische Maßnahmen wie Massagen oder Bewegungsübungen wirkungslos verpuffen. „Diese Erkenntnisse führen dann zur Verbesserung der Behandlungskonzepte.“
In der Druckmesstechnik steckt noch großes Potenzial. „Unsere Vision ist ein System, das schon aus den Messdaten erkennen kann, wo eine Druckstelle entstehen könnte und dort automatisch Druck aufbaut, verringert oder eine Umlagerung veranlasst“, sagt beispielsweise Guido Serwane. „Solche Smartkissen und Smartbetten werden in Zukunft vielen Menschen das Leben erleichtern.“
Unser MOBITIPP:
Wenn Sie den Eindruck haben, dass eine Sitz- oder Liegedruckmessung für Sie zweckmäßig sein könnte, fragen Sie Ihren Versorger, ob er diesen Service anbietet. Gut zu wissen: Derzeit werden Miet- und Leasingmodelle für Druckmesssysteme entwickelt, die einen längerfristigen Einsatz der Systeme erschwinglicher machen sollen.