Als erster Rollstuhlfahrer an der Quelle des Jangtse

Andreas Pröve treibt die Neugier hinaus in die Welt

Indien, Myanmar, der Orient, China: Nach einem Verkehrsunfall 1981 mit der Diagnose Querschnittlähmung wurde aus dem Tischler Andreas Pröve ein bekannter Fotoreporter.
© Nagender Chhikara
Andreas Pröve ist viel unterwegs
Dass auch Rollstuhlfahrer abenteuerliche Reisen machen können, beweist Andreas Pröve

Andreas Pröve, Jahrgang 1957, ist sicherlich einer der erfahrensten Globetrotter im Rollstuhl weltweit. Vor wenigen Monaten erst ist er von seiner dritten Chinareise zurückgekehrt. Als erster Rollstuhlfahrer überhaupt hat er es geschafft, durch militärisches Sperrgebiet der Chinesen im tibetischen Hochland zur Quelle des Jangtse vorzudringen. Damit hat er eine rund 6.000 Kilometer lange Tour entlang des längsten Flusses in Asien beendet. Sie hat ihn innerhalb von zwei Jahren in drei Etappen von der Jangtse-Mündung bei Shanghai bis zur Quelle im tibetischen Hochland geführt.

Jetzt sitzt Andreas Pröve entspannt zu Hause in der Lüneburger Heide und sichtet und ordnet das umfangreiche Material für seine Reiseberichte und Lichtbildshows, für seine Bücher und nicht zuletzt für sein umfangreiches Archiv. Wie immer hat er fantastische Fotos und Videos mitgebracht. Mit seinen Tonaufnahmen gibt er Menschen eine Stimme, für die sich bisher kaum jemand interessierte. Und dann sind da noch schriftliche Notizen in Hülle und Fülle. „Arbeit für Monate“, sagt Andreas Pröve.

Alle Kontinente bereist

© Sun de Yue

1981 verunglückt er als 23-Jähriger bei Limburg/Lahn mit dem Motorrad und lebt seitdem mit Paraplegie (TH8). Seit dem Unfall ist sein Leben von Abenteuern geprägt, sagt Andreas Pröve selbst. Bereits drei Jahre danach bricht er zu seiner ersten Indienreise auf – für ihn bis heute das rätselhafteste Land, das er kennengelernt hat. Später bereist er viele Monate Asien und den Vorderen Orient. Mit den Jahren hat sich Andreas Pröve mit dem Rollstuhl und Handbike alle Kontinente erschlossen. Schon früh waren die Medien auf ihn und seine Art, die Welt zu erkunden und davon zu berichten, aufmerksam geworden.

Heute füllt der Fotojournalist mit seinen Vorträgen große Säle. Bei einem Reisebericht über Myanmar kamen rund 1.700 Besucher. Immer wieder macht er die Erfahrung, dass die Zuschauer gar nicht wissen, dass er im Rollstuhl sitzt, bis er auf die Bühne kommt. Umso größer ist das Erstaunen, wie mobil man auch mit einer Behinderung sein kann. Abenteuerlust und die Bereitschaft, monatelang auf Komfort zu verzichten, vorausgesetzt.

Asien im Wandel

Denn unliebsame Überraschungen bleiben auch einem Reiseprofi wie Andreas Pröve nicht erspart. Immer wieder kommt es vor, dass Reiserouten vor Ort verändert werden müssen, etwa weil Grenzübertritte geschlossen worden sind. „Jede Reise hätte an vielen Stellen scheitern können“, so Andreas Pröve. „Nicht alle Umstände sind berechenbar.“

Auf der letzten Chinareise erfuhr er zum Beispiel, dass er mit seinem kleinen selbstgebauten Schiebemotor, den er hinten am Rollstuhl befestigt hatte, nicht an der Tankstelle tanken darf. Aus Sicherheitsgründen ist das nur Autos und Motorrädern gestattet. Auch eine Kanisterabfüllung ist verboten. „Das bedeutete jedes Mal ein mühsames Absaugen und Umfüllen von Benzin.“ Dann die Verkehrswege im modernen, futuristisch orientierten China: „Ich hatte zwar Landkarten und eine Smartphone-App, die anzeigten, wo man entlangfahren kann. Aber die Straßen waren inzwischen zu Autobahnen umgebaut worden, mit hohem und schnellem Verkehr. Da konnte man nicht mehr mit den Handbike fahren.“ Also hieß es: umdrehen und neue Wege erkunden.

Austesten, wie weit man mit dem Rollstuhl kommt

Die größte Überraschung wartete kurz vor dem Ziel: Andreas Pröve und sein kleines Team erfuhren, dass das Gebiet, in dem der Jangtse entspringt, militärisches Sperrgebiet sei und nur mit einer besonderen Genehmigung betreten werden darf. Glücklicherweise hatte sein Begleiter und Freund aus Hannover, ein Fotograf mit chinesischen Wurzeln, Kontakte in die chinesische Bezirksregierung. Nach 14 Tagen der Ungewissheit durfte Andreas Pröve sich mit seinen tibetischen Trägern dann doch auf den Weg machen und seine Reise von der Mündung zur Quelle des Jangtse vollenden.

Was ihn zu solchen strapaziösen Abenteuern antreibt, erklärt sich der Fotojournalist so: „Es ist vor allem die Neugierde, die Welt kennenzulernen. Vielleicht ist sie bei mir, wie bei vielen Rollstuhlfahrern, besonders ausgeprägt. Wer zum Beispiel nach einem Unfall stark in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist, verspürt oft das Bedürfnis, noch weiter rauszugehen, noch mehr zu erleben und auszutesten, wie weit man mit dem Rollstuhl kommt. Das war bei mir auch der Antrieb. Ich kann nicht zu Hause sitzen, sondern muss die Welt sehen.“

Dann freuen wir uns auf neue Reiseberichte. Wer mehr über Andreas Pröve wissen will oder einen seiner Vorträge besuchen will, findet auf seiner Internetseite www.proeve.com weitere Informationen.

10 Tipps für Asien-Einsteiger von Andreas Pröve:

  1. Wer den riesigen Kontinent Asien erkunden möchte, sollte genau planen, welches Land und welcher Zeitpunkt am besten zu den persönlichen Voraussetzungen und Bedürfnissen passt. Während es in unserem Sommer zum Beispiel in Tibet eiskalt sein kann, herrscht zur gleichen Zeit am Äquator große Hitze.
  2. Wer viel Gepäck benötigt und das ist bei Rollstuhlfahrern schon wegen der medizinischen Hilfsmittel der Fall, muss sich rechtzeitig um den Transport kümmern.
  3. Rollstühle werden als Hilfsmittel kostenlos transportiert. Bei rechtzeitiger Anmeldung und freundlicher Begründung sind Fluggesellschaften häufig großzügig und nehmen das Handbike ebenfalls kostenfrei mit. Das gilt auch für die anderen medizinischen Hilfsmittel wie Katheder und Windeln.
  4. Praktisch ist, wenn man eine ärztliche Bescheinigung vorzeigen kann, dass man aufgrund des erhöhten Bedarfs an medizinischen Hilfsmitteln notwendigerweise mehr Gepäck mitführen muss. Dafür gibt es fertige Formulare, aber der Hausarzt kann die Bescheinigung auch handschriftlich ausfüllen und mit seinem Stempel versehen. Eine Bescheinigung in englischer Sprache kann man auch bei Flügen im Reiseland vorzeigen.
  5. Werkzeug und Ersatzteile sind unverzichtbar, damit man unterwegs lose Schrauben anziehen oder ersetzen kann. Auch ein Kugellager sollte man auswechseln und natürlich einen Reifen flicken können.
  6. Am Ankunftsort muss man natürlich erst einmal das Hotel aufsuchen, in dem man seine Hilfsmittel deponieren will. Auch hier sollte man rechtzeitig klären, ob man das Hotel als eine Art Basislager für die Hilfsmittel nutzen kann. Dieser Service ist mal kostenlos, manchmal kostet er ein bisschen Geld.
  7. Mit hohem Hilfsmittelbedarf ist es einfacher, eine Rundreise zu machen als eine Gabelreise. Ich kehre zum Beispiel zwischendurch immer wieder zum Ausgangspunkt zurück und hole Nachschub für ein oder zwei Wochen. In China bin ich schon quer durch das Land geflogen, um mich aus dem Depot zu versorgen.
  8. Impfungen sind wichtig. Informationen zum jeweiligen Reiseland gibt es beim Tropeninstitut. Eine Impfung gegen Tollwut ist häufig sehr sinnvoll. Die Straßenhunde, die es in Asien überall und in großer Anzahl gibt, laufen gern hinter Rollstuhlfahrern her, weil sie so ein Gefährt nicht gewohnt sind. Dabei kann man schnell in die Hand gebissen werden. Ohne ärztliche Versorgung kann man innerhalb ganz weniger Tage sterben.
  9. Nur aus Angst, dass man auf einer Fernreise mit dem Rollstuhl mal an einer Treppenstufe scheitern könnte, muss niemand zu Hause bleiben. Man kann sich durchaus darauf verlassen, dass einem die Menschen gern helfen. Der erste Schritt muss aber von einem selbst kommen.
  10. 10. Mein Reisetipp für ein „Einsteigerland“ ist Thailand. Da ist es in unserem Winter schön warm. Das Land ist modern und die Lebensmittel haben eine hohe Qualität. Man lebt insgesamt billiger als in Deutschland. Viele Rollstuhlfahrer überwintern in Thailand und geben gerne ihre Reiseerfahrungen weiter.

(Text: Brigitte Muschiol)

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